Montag, 8. Januar 2007
'Sehr geehrter Herr Dr. Sarg,'...
... gab meine Datenbank gerade von sich. Okay, zusammen mit 3500 weiteren Namen und Anreden.

Diese erschien mir aber doch besonders launig.-

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Auffassungsfrage - oder, Der untote Altägypter hat viel zu gute Laune
Auch im Jahr 2007 ist das Miese Kaff immer noch mies; und auch das Händeschütteln mit 'Frohes Neues Jahr!' macht manche Leute nicht wirklich, systemisch besser. Trotzdem bin ich noch nicht wieder zu meiner üblichen Höchstform an Giftigkeit und Snark aufgelaufen; davon bin ich von der Woche Nichtstun letzte Woche einfach noch zu entspannt. Am Freitag wunderte sich sogar schon einer der Metropoliten bei uns im Keller, wieso ich so ausgeglichen aussähe.

Dazu drei Überlegungen.-

Erstens, Phasenwechsel. Nichts wirklich vorzuhaben bedeutete, daß ich aufstehen und schlafen konnte, wann ich wollte. Sehr schnell verfiel ich in meinen natürlichen Rhythmus - schlafen gehen gegen 5 Uhr morgens, aufstehen gegen 2 Uhr mittags. Okay, zwischendrin mal als Zombie aus dem Bett steigen und den Kater füttern, klar, denn der Kater will morgens sein Frühstück.
Nichts vorzuhaben hieß auch, daß ich eine Menge getan habe - endlich Büchereiausweis erneuert, mit dem Nazgul 'Casion Royale' im Kino angeguckt, Leute getroffen, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, Buchläden abgeklappert, in denen ich auch schon lange nicht mehr war.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag hat es mich denn vollends gerissen, und ich habe mich um 4 Uhr in ein neues Projekt gestürzt, ging um 7 Uhr schlafen, war noch so enthusiastisch, daß ich fast nicht geschlafen habe; 12 Uhr wieder raus, dann die üblichen Sonntagsfilme und Sonntagsessen mit dem Nazgul, und um 11 Uhr abends war ich fix und alle - was hieß, daß ich heute früh um acht ohne Probleme auf der Matte stand. Mieses Kaff, ich komme! Phase erfolgreich zurückgewechselt. Das hilft natürlich zur guten Laune.

Zweitens, Input. Da war diese Lady aus einem meiner Online-Projekte, die sich heute früh per IM bei mir beklagte, ihr fiele nichts ein - sie würde doch soooo gerne mehr schreiben, aber alles ödet sie an. Mir fiel dazu leider nur ein, daß manchmal einfach nix inspiriert - ich sitze dann vor dem Stapel ungelesener Bücher und kann mich für keins davon entscheiden. Die arme Lady klagte darauf nur, sie würde schon gar nicht mehr lesen - sie sitzt nur und guckt auf ihren Computerbildschirm; vielleicht solle sie weniger Zeit online verbringen. Dann mußte sie gehen.-
Ich war zuerst sehr betrübt und reuig, und dachte, 'Ohgott, wir öden sie an, ich muß ein besseres Gesamtthema erfinden, um sie bei Laune zu halten - ich wußte doch, das was ich ausgebrütet habe, ist nicht umfassend genug und bezieht sie nicht genug ein!' Dann kam ich aber selber an einen öden Ort, wo man gut denken kann, und mir fiel es wie Schuppen von den Augen - ihr fehlt einfach der Input!
Jeder große Schriftsteller war oder ist immer auch ein großer Leser. Diese überquellenden Bücherregale im Hintergrund von Fernsehinterviews oder Webcam-Aufnahmen sind doch keine Staffage! Um Output zu produzieren, ist ständiger, zufälliger Input notwendig, und damit meine ich nicht nur direkte Inspiration oder Recherche. Ich selbst kenne gar keine komplette Input-Deprivation, denn ich sitze immerhin noch jeden Tag 20 Minuten hin und 20 Minnuten zurück mit einem Buch in der S-Bahn; aber wenn diese Lady vor lauter Leuten und Verpflichtungen und dann den Freuden der Online-Schreibprojekte nicht zum Lesen kommt, dann geht ihr irgendwann der memetische Saft aus.
Mir geht es auch dshalb jetzt so gut, weil ich mich letzte Woche richtig gut in zufälligem Input suhlen konnte - ich habe nach und nach die zweite Hälfte von 'Torchwood' angeguckt (jetzt fragt mich nicht, wo ich das herhabe!) und außerdem, ausgehend von dem GooTube-Video mit Miss Piggy, mal eben schnell den Gesamtbestand der Musikbücherei zum Thema Rudolf Nurejew weggeschleppt (Meine Güte, der Kerl war echt superheftig!! In Zukunft trete ich auch mal Türen ein, weil ich nicht pünktlich bekomme, was ich zum Arbeiten brauche).
Oh, und naürlich ist davon nichts sinnlos, nein gar nicht, ich bin zwar Datenbankbändiger und Online-Geschichtenerzähler, aber sowohl Torchwood als auch Nurejew werden bestimmt mal total nützlich, ich habe noch nie etwas noch zu Abgelegenes erforscht oder betrieben, was nicht innerhalb kürzester Zeit so richtig nützlich wurde - da, auf Nurejews Türeneintreten bei der Wiener Staatsoper kann ich mich schon berufen, wenn ich jemandem erklären will, wie harmlos ich doch bin, im Vergleich zu manchen! Und wenn so richtig schön viel Input ins Hirn fließt, dann wird das Treibgut da drin auch wieder flott, und es kommt Output raus, auch wenn der mit dem Input nicht unmittelbar was zu tun hat.
Ich werde jener Lady sagen, ja, sie hat recht, sie soll weniger Zeit online mit uns verbringen und einfach paar Bücher von ihrem Stapel lesen und natürlich Torchwood angucken - Torchwood ist einfach klasse! Und sich auf keinen Fall zu zwingen versuchen, irgendwas zu schreiben. Wenn sie genug liest und genug Torchwood anguckt (okay, vielleicht auch noch den einen oder anderen sonstigen Film), dann wird sie schon bald wieder ankommen, freudig und voller neuer Ideen, die mit ihren gelesenen Büchern oder mit Torchwood höchstens sehr mittelbar zu tun haben - es ist einfach nur das ganze Zeug in ihrem Hirn wieder flott geworden. Und dann fällt ihr auch wieder etwas ein, was sie schreiben kann.-
Zu Zeiten der Massenmedien und des konventionellen Internet hatten wir ein Problem mit Input Overflow - es gab zu viele interessante Dinge, zu viel Information, zu viel aufzunehmen, so daß man immer nicht wußte, wo man anfangen sollte und dringend Mittel brauchte, den Input zu kanalisieren. In den Zeiten von User Generated Content gibt es nun auch so etwas wie Output Overflow - wir generieren immerfort Content, und es kommt nicht genug nach, das uns irgendwie inspiriert und unsere Denkprozesse am Laufen hält. Gelegentlich muß man sich halt mal völlig beliebig brandneue britische SciFi-Serien und superheftige baschkirische Tänzer reintun - das hilft einfach zur guten Laune.

Drittens, Vorfreude. Da setze ich jetzt eine Überlegung fort, die eben eine unserer Firmen-Klatschbasen in den Raum geworfen hat - jemand, der sonst eher für Boos bei Boocompany gut ist, weil er sich mit so etwas auskennt, als daß er sinnvolle, weitergehende Überlegungen inspirieren würde. Der meinte nämlich, was ihm bei solchen spontanen Urlauben wie dem letzte Woche (bis in den Dezember hinein dachten wir nämlich echt, wir würden letzte Woche arbeiten - die Lage der Feiertage legte das ja nahe) fehlen würde, sei die Vorfreude. Früher hätte er seinen Urlaub für September und Oktober im Februar gebucht und dann die ganze Zeit etwas gehabt, worauf er sich freuen konnte.
Und da muß ich dem Mann wirklich zustimmen - nicht nur Pflichten und unangenehme Sachen muß man planen, auch gute Dinge, auf die man dann hinleben kann. Und das ist nicht nur Urlaub oder materieller Konsum (der gute Mann denkt da doch in recht konventionellen Bahnen) - ich freue mich jetzt schon wie ein Schneekönig auf das Feuerwerk an Knalleffekten, das ich mit paar anderen im März in meinem Haupt-Online-Schreibprojekt abziehen werde!
Vorbereitung, Planung, und das In-Position-Bringen der nötigen Elemente macht einfach Spaß - sobald meine Lady mit dem Output Overflow sich ein bißchen erholt hat, beziehe ich sie stärker ein. Statt ihre eigenständige Kreativität zu sehr zu respektieren und zu sagen, "Wenn du willst, kannst du da oder da anflanschen," werde ich ihr einfach sagen, "Ich hätte gerne das und das von dir dabei," das hilft dann ihr dann auch, wieder zu produzieren - aber natürlich erst, nachdem sie eine Runde ordentlich konsumiert hat! Bis März ist ja noch Zeit.
Aber Vorfreude, Vorbereitungen, Vorausschau inspiriert einfach. Und es muß auch nicht mal so langfristig sein - als ich am Donnerstag in Dunkelheit und Fast-Sturm den Gasteig heruntergelaufen bin, um den Nazgul am Museumskino zu treffen, fiel mir auf, daß ich schon lange nicht mehr bei so schlechtem Wetter so gute Laune gehabt habe - ich freute mich einfach auf den Film, den wir angucken würden, und hatte meinen Rucksack voll ausgeliehener Bücher über Nurejew, die ich mir dann zu Hause, nach dem Film, zu Gemüte führen könnte. Sowas macht einfach gut Laune.

Ich glaube, daraus lassen sich doch schöne Prinzipien für 2007 ableiten:
  • 1) Respektiere deine innere Natur - bist du eine Lerche, zwinge dich nicht zum Eulentum.
  • 2) Halte Input und Output in Balance, gönne dir zufälligen, nutzlosen Input, denn er wird dich doch irgendwie inspirieren. Wir leben in einer Gesellschaft mit Internet und Bibliotheken und Amazon und der Wikipedia - alles, was du brauchst, ist irgendwo da draußen.
  • 3) Plane Dinge, auf die du dich freust; arbeite darauf hin, halte dich während der Durststrecken an der Idee fest; teile es mit anderen, damit die sich auch freuen können und der ganze Hümpel besser drauf ist.
Klingt doch gut, oder?

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