Freitag, 5. Dezember 2014
Wir sind jetzt wieder dort...
Muß doch mal wieder meinen Kopf rausstrecken und hier meine Meinung absondern bzw. eine Beobachtung posten. Da kam mal wieder was zusammen:
  • auf Twitter diskutiere ich per DM mit einer Genossin aus England einen Fall aus 'CSI', und eine ihrer kürzeren Anwtworten enthält die Nebenbemerkung "... für die, die mitlesen: das ist alles rein fiktional";
  • ich telefoniere mit einem älteren Herrn, der sich noch ans Dritte Reich erinnern kann, und er will gerade mit einem flapsigen Spruch von damals antworten, der heute total politisch inkorrekt wäre (Größenordnung 'innerer Reichsparteitag'), da unterbricht er sich und erklärt, das sagt er jetzt lieber nicht, da hört doch einer zu;
  • der Nachbar von unten gibt mir einen grenzlastig legalen Tipp zum Umgang mit dem Vermieter per Email -- aber nur total zwischen den Zeilen, mit dem Hinweis "Mach mal nix, ich erkläre es dir nachher" -- weil er weiß, Emails sehen doch alle, die das wollen.
Ich kenne noch die alte DDR, wenn auch nur als regelmäßiger Besucher; da ging das auch so: - nicht drüber reden, es hört immer einer zu, und die VoPos dürfen alles, die haben die Macht, man kann sich nicht wehren, sonst gibt es nur Ärger, gegen den man sich nicht wehren kann, und so weiter, ad infinitum.

Daher kommt mir die Art, wie die Leute sich mit dem Wissen um Echelon abfinden und Wege darum herum suchen, doch fatal bekannt vor.-

Permalink (4 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 20. Januar 2011
Kunstfiguren
Damals war ihm gar nicht bewusst, dass kulturelle Unterschiede zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum in Japan eine große Rolle spielen – auf gewisse Weise ist das Pflegen von zwei Identitäten dort kein Zeichen mangelnder, sondern eher von vorhandener Integrität. Ebenso wenig machte er sich Gedanken darüber, dass japanische Internet-Nutzer eine enge Beziehung zu ihren Online-Pseudonymen und anderen Alternativ-Identitäten haben.
[[von hier]]

Einmal Japanologe, immer Japanologe. Ich glaube, ich war online immer schon ein bißchen japanisch. Die Fachbegriffe hier sind honne (die wahre, eigentliche inner Natur und Identität) und tatemae (den Anschein, den man sich je nach sozialem Kontext gibt). Anhänger dieser Dualität gehen davon aus, daß das Online-Umfeld die Kunstfigur(en), als die man unterwegs ist, ohnehin als tatemae erkennen und nicht erwarten wird, offline dann das anzutreffen, als das die Person am Keyboard die Kunstfigur online präsentiert hat.

Vor langer Zeit, in den 90er Jahren, in WorldsAway, da 'war' ich nicht mein jeweiliger Avatar, sondern der Avatar war eine Kunstfigur, die ich spielte und die mal mehr, mal weniger für mich (= honne) sprach. Andere Leute sahen das nicht so. Als ich den Nazgul das erste Mal in RL traf, hätte ich ihn ansatzlos vom Avatar her erkennen können, obwohl er keinen Frettchenkopf aufhatte. Wieder andere Leute wurden richtig angefressen und erklärten, ich könnte doch nicht den Anschein verbreiten, als sei ich dies, und dabei sei ich in Wahrheit das. Das erklärte ich für Unsinn. Ein Avatar ist nie sein Besitzer. Von einer Online-Identität wird nicht erwartet, honne abzubilden.

Das kapieren manche bis heute nicht. Das hat mich zu Hype-Zeiten aus Second Life ferngehalten (das, und die Tatsache, daß man da endlos Zeit verbraten konnte, zumal mein armer alter ME-Rechner beim Rendern der Grafik regelmäßig beinahe ausstieg), und das hält mich heute aus Fratzenbuch und dergleichen Klarnamenveranstaltungen fern.

Hier ist es wenigstens offensichtlich, daß ich in RL (= honne) kein untoter Altägypter namens Sethos bin. Das kommt, weil meine Schwester schon immer 'die Sphinx' war (aus historischen Gründen, zu kompliziert zu erklären), und weil ich mich mal in Diskussionen gegen einen Troll durchsetzen mußte, der unter dem Namen Ramses unterwegs war, plus einem kleinen Umweg über etwas, das der Nazgul mal geschrieben hat. Aber keiner, der mich offline treffen würde, erwartet wortwörtlich Imhotep.

Also kann ich alles mögliche sein, und das verschafft Ausdrucksfreiheit, online wie offline. Freudig kann ich mich online frakturieren und verschiedene Interessen durch verschiedenen Kunstfiguren darstellen, ohne daß ich persönlich das Gefühl hätte, ich würde hier Leute anschwindeln. Keineswegs ist das ein Zeichen für Wahnsinn im Sinne einer gespaltenen Persönlichkeit. Im Gegenteil, an anderen Orten, wo ich unterwegs bin, nennt man das die 'IC/OOC divide', und das Fehlen derselben ist eine der ärgsten Beleidigungen, die man jemandem vorwerfen kann, denn es bedeutet Wahnsinn, im Sinne von Realitätsverlust.

Beim Fratzenbuch, oder beim Zwitschern, hat man nur einen Account und nur eine Realität zu haben. Das behagt mir gar nicht. Ich will nicht nur blutleer im Rahmen eines tatemae kommunizieren, das auch ein eventueller neuer Brötchengeber ohne Nachteile für mich sehen kann. Noch weniger will ich, wie es wohl erwartet wird, für jeden, der mein 'Freund' zu sein Anspruch hat, mein inneres 'ehrliches' honne öffentlich zur Schau stellen. Manche Dinge will ich mit manchen Leuten, egal wie nett sie sonst sind, gar nicht diskutieren

Manche Dinge gehen sogar niemanden außer mir selbst etwas an, und wenn ich sie für mich behalte, heißt das noch lange nicht, daß ich lüge. Da bin ich auch wieder sehr japanisch angehaucht. Was man sich in einem leicht beeindruckbaren Alter jahrelang offiziell und als Hauptberuf ins Hirn gestopft hat, das prägt doch...

Permalink (6 Kommentare)   Kommentieren





Mittwoch, 29. Dezember 2010
Der untote Altägypter reist mit dem Zug durch Schwaben
Der Stuttgarter Schloßgarten ist eigentlich ein ganz, ganz spießiger Park. Gerade eben bin ich mal bei Tageslicht da vorbeigekommen. OMG was für ein langweiliger Ort! Freiwillig würde ich da nie hingehen.

Witzig, daß ausgerechnet so ein Ort die Keimzelle von BRD 2.0 ist. Das heißt, eigentlich ist es nicht BRD 2.0; es ist BRD 4.0.

Wieso?

BRD 1.0 war die Adenauer-Republik, die damit beschäftigt war, wirtschaftlich auf die Füße zu kommen und zu verdrängen, daß all die alten Männer, die das Sagen hatten, entweder Nazis gewesen waren, oder mit heftigem PTSD aus dem Krieg heimgekommen waren, oder sogar beides.

Dann kam 1968, und damit die BRD 2.0. Alle wurden furchtbar ernsthaft und engagiert, und Mitmachen war wichtig. Gestern habe ich mit großem Interesse Zeitdokumente davon gesehen, wie das damals alles ablief.

Nochmal 20 Jahre später (pi mal Daumen), und wir kriegten mit der Wiedervereinigung die BRD 3.0: - Wohlstand für doch-nicht-alle, Aufschwung, blühende Landschaften im Westen, Sozialdarwinismus, neoliberale Marktideologie, 'alternativlose' 'Reformen' wie Hartz IV., Privatisierungen und ein totoptimierter öffentlicher Sektor.

Das ist jetzt 20 Jahre so gelaufen, und die Leute haben mal wieder die Schnauze voll. Es ist vielleicht Zufall, daß sich ein grottenspießiger Park in der blühendsten aller Landschaften zur Keimzelle für das nächste Release unserer Staatsform entwickelt. Vielleicht ist es aber auch ganz besonders symbolisch. Oder es liegt daran, daß sich hier die neodarwinistischen Gewinnertypen ganz besonders dreist glauben aufführen zu dürfen, weil die zufriedenen, fleißigen Bürger ja wohl kaum gegen das argumenieren, was funktioniert, und auch zu brav und spießig sind, um zu protestieren.

Doch wenn das System nicht mehr funktioniert und zu viele Bürger merken, daß sie nach Strich und Faden über den Tisch gezogen werden, wenn man Spießers spießigen Schloßpark kaputtmacht, um irgendwas unter die Erde zu bauen, was toll klingt, aber nicht funktionieren kann, außer für die, die sich an den Immobilien bereichern können, die dadurch freigesetzt werden, dann haben wir eine Gemengelage, da knallt es auf ein mal wieder.

Erst in dem spießigen Park, dann systemweit.

Was jetzt kommt? Wie die BRD 4.0 aussehen wird? Fragt nicht mich, ich bin bloß ein untoter Altägypter. Ich weiß nur, da in dem spießigen Park, wo gerade eine einzige ruhmreiche orange Baumaschine zugeschneit wird und ansonsten trügerische Friedhofsruhe herrscht, da ist ein Geist aus der zerbrochenen Flasche gekrabbelt gekommen, den kriegen die Wende-Gewinner nicht mehr los.

Und der wird dann schon beschließen, wie es weitergehen soll.-


P.S.: Ist das jetzt schon die Geislinger Steige, warum habe ich das Plochinger Hundertwasser-Haus verpaßt, und wieso krabbelt der Zug hier dermaßen lahm den Hang hoch? Ist irgendwas falsch, oder hat der einfach nur Schiß wegen dem Schnee? Fragen über Fragen, und alles hängt irgendwie zusammen...

Permalink (16 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 14. Oktober 2010
Schicht im Schacht mit Don Lucho...
... oder, was wir alle von Chile lernen müssen.

Achtung, es kommt ein rant! Für Katzenbilder einfach die Bleiwüste runterscrollen. Danke!

Gestern nacht hing ich bis gegen vier vorm Glotzophon, schaute auf BBC Worldwide die Rettung der Bergleute* in Chile an, bis ganz zum Ende. Da kam als letzter Bergmann der Steiger** hoch, 'Don Lucho', Luis Urzua, und hielt dem wartenden Staatspräsidenten eine relativ ausführliche Rede.

Das ist richtig. Der Bergmann redete, und der politische Quasselkopp hatte zuzuhören. Der Präsident versuchte zwar auch, seinen Teil zu der Unterhaltung beizutragen, aber er war nicht wirklich gefragt.

Was hatte Don Lucho nun dem Präsidenten zu sagen? Hat er sich bedankt? Hat er Kritik geübt und politische Forderungen gestellt? Mußte er sich von der Seele reden, was sich in 70 Tagen als oberste Autorität in einer Situation auf Leben und Tod angestaut hatte? Nunja, vielleicht ein bißchen von all dem.

Aber vor allen Dingen, so entnahm ich (mit meinen minimalsten Spanischkenntnissen und der wackligen Übersetzung der BBC) Don Luchos Ansprache, erstattete er einfach Rapport. 'Wir haben dies gemacht, dann haben wir das gemacht, dann ist dies passiert, dann haben wir jenes gemacht, und dann ist das falsch gelaufen...' Zum Ende, als er alles gesagt hatte, was er fand, daß er sagen mußte, erklärte er, jetzt hat er fertig und übergibt die Schicht, vielen Dank an alle. Und dann sangen sie alle zusammen sehr langsam und sehr schief die chilenische Nationalhymne.

Da übergab also einfach der Steiger, dem das Bergwerk während seiner Schicht unterstanden hatte, die Verantwortung zurück an seinen Vorgesetzten, und meldete sich vom Dienst ab.

Und ja, der Präsident ist wirklich der Vorgesetzte; das war kein patriotisches Pathos. Die Betreibergesellschaft des Bergwerks ist nach dem Unglück pleite gegangen, und der chilenische Staat hat sofort die Konkursmasse beschlagnahmt, damit sich nicht irgendjemand mit irgendwelchen Restwerten aus dem Staub machen kann. Und als Chef des Staates ist der Präsident dann wirklich Don Luchos oberster Chef.

Zugegebenermaßen ist dieser chilenische Präsident ein Konservativer, ein Freund der Bosse, durch seine Politik mitschuldig an dem Unglück, und im Zivilberuf Milliardär*** -- aber in dem Moment nahm man ihm ab, wirklich lernfähig zu sein. Und seinen persönlichen Einsatz hat er demonstriert, indem er da war, bei jedem einzelnen Bergmann, 24 Stunden lang. Sicherlich konnte er sich irgendwo hinsetzen und 'nen Kaffee trinken, wenn die Fenix-Kapsel wieder unterwegs war, aber wenn wieder einer hochkam, stand der Präsident da und hieß ihn persönlich willkommen. Jedes Mal. Geschlafen hat der nicht. Der hat das da ausgehalten, an seinem eigenen verwöhnten Milliardärskörper, hat das mit den Einsatzkräften wortwörtlich durchgestanden, hat zwischendrin hellwach der BBC (und sicher auch anderen Medien) ein bemerkenswertes Interview gegeben, und damit einen Einsatz gezeigt, der wirklich unbequem und physisch massiv unangenehm gewesen sein muß. Das nur als Anhaltspunkt, weshalb ich ihm jetzt erstmal bis zum Beweis des Gegenteils guten Willen unterstelle.

Der BBC-Reporter stellte nämlich freudig auch unangenehme Fragen, und der Präsident von Chile dachte gar nicht daran, sich zu winden und Ausflüchte zu machen, wie wir es von jedem westlichen Politiker selbstverständlich erwarten. Ja, der Staat war mit Schuld an dem Unglück. Ja, das Bergwerk hätte längst geschlossen gehört und hätte nach den warnenden Anzeichen, die die Bergleute gemeldet hatten, nicht mehr in Betrieb sein dürfen. Ja, das war ein großes Versäumnis, seine Regierung ist selbst in der Pflicht, und man wird sich ändern. So etwas wird nicht wieder vorkommen, und der Staat wird dafür sorgen, daß die Sicherheit und die Würde jedes Arbeiters in Chile zukünftig respektiert wird, nicht nur im Bergbau, in jeder Branche, ob das nun Bergbau, Stahlindustrie, Schiffbau oder Fischerei ist.

Das hat er dann später in seiner Rede an die Angehörigen der Bergleute in Camp Esperanza nochmal gesagt: Sicherheit und Würde der Arbeiter sind genauso wichtig wie Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

Sicherheit -- klar. Da hat Chile als Schwellenland Nachholbedarf, da gibt es gewerkschaftliche Positionen und Technologien und gesetzliche Regelwerke aus anderen Ländern, und vieles ist sicher schon erreicht, wenn das eingehalten wird, was bereits Vorschrift ist, und keine Ausnahmen mehr gemacht werden für irgendwelche Bosse, die im selben Club Golf spielen wie irgendein wichtiger Beamter oder Regierungsvertreter. Chile hat auch mit dem unbedingten Willen, die Bergleute zu retten, koste es was es wolle (auf die Frage nach den Kosten sagte der Präsident der BBC, das sei doch völlig egal****), gezeigt, daß es ein zivilisiertes Land ist, im Gegenteil zu Gegenden wie China oder Rußland, wo Bergleute schon mal in ähnlichen Situationen zu hunderten zu Tode kamen.

Würde. Der Präsident hat immer von der Würde der Arbeiter geredet, und das ist es, was wir in diesem Moment, in dieser geopolitischen Konstellation, von Chile lernen können.

Respekt vor der Würde und der Leistung der Arbeiter bedeutet nicht nur, sie angemessen zu bezahlen. Das gefährliche alte Gold- und Kupferbergwerk zahlte sehr gut, deshalb haben diese Bergleute dort ja überhaupt gearbeitet. Die arbeiteten da teilweise, damit ihre Kinder studieren können und mal ein besseres Leben haben werden. Geld ist hier nicht das Thema, oder nur am Rande.

Arbeitslohn sollte ja (trotz gegenteiliger Witze) kein Schmerzensgeld sein, und das ist er, ohne Würde.

Als ich dabei war, als junger Hüpfer zu lernen, was es heißt, die Verantwortung für die Computerei zu haben, ohne die die gesamte Firma nicht arbeiten konnte, hat mich mal ein alter Hase eingebremst, als ich etwas arg radikal wurde und über die Stränge schlug, indem er mir sagte, mir fehlte noch der Respekt für die Arbeit anderer Leute.

Das ist es, was fehlt. Das ist es, was wir aus dem Unglück im Bergwerk 'San José' und seinem glücklichen Ausgang, und aus Don Luchos Rapport an den Präsidenten, lernen können.

Respekt vor der Arbeit der Bergleute hätte bedeutet, daß die Bosse ihnen zugehört hätten (wie dann am Ende der Präsident Don Lucho zuhören mußte) und ihre professionelle Erfahrung respektiert hätten, als sie vorher gesagt haben, das Bergwerk arbeitet mehr als sonst, es kracht viel öfter als zwei Mal pro Schicht, da passiert bald was, man muß etwas unternehmen.

Die Würde der chinesischen Arbeiter bei Foxconn ist es, was den westlichen Auftraggebern von Apple, Dell, HP und so weiter so furchtbar egal ist, und weshalb dort Menschen gestorben sind. Ein bißchen mehr Geld stellt die Würde nicht wieder her. Anständige Unterkünfte mit Privatsphäre, und ein Umgang mit den Menschen unter dem Vorzeichen, daß es sich um erwachsene eigenverantwortliche Menschen wie man selbst handelt, würden da eher helfen.

Mangelnder Respekt vor den Bedenken der Menschen in Stuttgart gegen den großformatigen, teuren Umbau ihrer Stadt ist es, was die Situation dort vor 14 Tagen so hat eskalieren lassen. Wenn ein 66jähriger Ingenieur im Ruhestand, noch frisch von einem ganzen Leben professioneller Erfahrung (nach einer guten Ausbildung, die ihn dazu befähigt hatte, diese Erfahrung zu sammeln), protestiert, daß das, was die da bauen wollen, technisch und wirtschaftlich Quatsch ist (und die Erfahrung, das zu sagen, unterstelle ich ihm mal, angesichts der Eckdaten, die von ihm bekannt sind, wie ich dem chilenischen Präsidenten guten Willen unterstelle), dann hört man ihm zu, und schießt ihm nicht mit einem Wasserwerfer beide Augen aus.

Wenn jede Firma in jeder Branche verpflichtet ist, die Würde ihrer Arbeiter und Angestellten zu achten, so wie es der chilenische Präsident für sein Land versprochen hat, dann ist hier bei uns in der 'ersten Welt' für viele schlechte Angewohnheiten erst mal Schicht im Schacht. Ja, die Redewendung 'Schicht im Schacht' stammt aus dem Fachjargon der Bergleute, und Don Lucho hat uns letzte Nacht daran erinnert, indem er seine Schicht ganz wörtlich formell aus dem Schacht gebracht hat.

Schicht im Schacht für alle großen internationalen Konzerne, die die Würde ihrer Angestellten mißachten, indem sie sie als human resources betrachten, die komplett fungible sind, die man mit Consultant-Zecken gängeln, mit Kameras überwachen, wie Schachfiguren beliebig in der strategischen Konzernaufstellung herumschieben, ausgliedern, wieder eingliedern, ungefragt versetzen oder in eine Ecke abschieben darf, anstatt sie wie erwachsene Menschen zu behandeln, die ihren Beruf verstehen und die ihren angemessenen Arbeitslohn nicht dafür bekommen, daß sie sich mit Haut und Haaren an ihren Arbeitgeber verkaufen, der dafür mit ihnen machen darf, was er will, sondern die dafür als selbstverantwortliche Menschen eine gute Arbeit abliefern, deren Stellenwert in der Firmenganzheit ihnen eine professionelle Würde gibt.

Schicht im Schacht für Politiker, die ihr Mandat als Verpflichtung gegenüber den Wahlkampfspendern ihrer Partei und als Gelegenheit, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, ansehen, und die Würde der souveränen Wähler mißachten, die mit ihrer Arbeit das Steueraufkommen finanzieren, das die regierenden Blindgänger dann hinterher an Leute verteilen, die zufällig im selben Club Golf spielen wie sie und ihnen hinterher bei einem wohlschmeckenden Kaltgetränk erklären, wieso sie dies und das so und so zu sehen haben. Das endet dann damit, daß irgendwelchen Bankstern ungebremst Geld nachgeworfen wird und plötzlich ansatzlos die Atomkraftwerke weiterlaufen sollen. Letzteres zeugt von der völligen Abwesenheit jeglichen Respekts vor der Arbeit der inspirierten Unternehmer, sogfältigen Ingenieure, qualitätsbewußten Fabrikarbeiter und erfahrenen Monteure, die auf dem besten Weg waren, mit dezentralen alternativen Energien die fossilen Brennstoffe und die Kernenergie volkswirtschaftlich, arbeitsplatztechnisch und in der Energiebilanz völlig zu ersetzen.

Schicht im Schacht für die Dumpinglohnunternehmer und ALG-II-Kürzer, die in einer perfiden Allianz von Furcht und Schrecken aus (relativ zur Inflation) immer billigeren Arbeitskräften immer mehr Profit ziehen, indem sie die Würdelosigkeit der Ausbeutung und der Gängelung freudig aus den Ländern reimportieren, in die sie zuvor einen Teil der hier einstmals gut bezahlten Arbeitsplätze exportiert hatten. Karel und Edita machen's bekanntlich für die Hälfte, und Frau Wu und Herr Li haben nie gelernt, daß die Würde des Menschen unveräußerlich ist und sie ein Recht darauf haben, das durchzusetzen. Dazu importiert man Waren, die von diesen Leuten unter Verlust der ihnen (laut dem chilenischen Präsidenten) zustehenden Sicherheit und Würde produziert wurden, denn nur so können hierzulande Callcenteragenten im Osten oder Hartz-IV-Empfänger überhaupt überleben, ohne daß es zu Hungeraufständen käme wie zu Beginn der industriellen Revolution. Ohne Superbilligangebote aus würdeloser Produktion in Schwellenländern könnten diese Menschen nicht zumindest so minmal am Konsum teilhaben, daß sie sich das gefallen ließen. Das fällt unter 'Brot und Spiele'. Sicherheit und Würde wären eher mit Mindestlohn und bedingungsloser Grundsicherung zu erreichen.

Schicht im Schacht für die Spätzlemafia, die ja jeder ordentliche Schwabe jahrelang hat gewähren lassen, weil sie Wohlstand ins Ländle gebracht haben, den Teil mit dem 'Häusle baue' beschleunigt haben, und dafür gesorgt haben, daß alles rund lief. Aber jetzt mißachten sie großflächig Sicherheit und Würde all der ordentlichen Schwaben, sie haben plötzlich gar keinen Respekt mehr vor der Arbeit all der Ingenieure und Lehrer und Vorarbeiter und Häuslebauer, und auf ein Mal rummst es.

Es ist das ureigenste Kennzeichen der vielgescholtenen 'Arroganz der Macht', Sicherheit und Würde der Menschen zu mißachten, die man zu beherrschen glaubt, und den Respekt vor der Arbeit anderer Leute dem Streben nach eigenem Profit unterzuordnen.

Wir sind hier nämlich die Bananenrepublik, und wir sollten uns was schämen. Nicht nur unsere Politiker, die sich niemals hinstellen und alle Fehler zugeben würde wie der chilenische Präsident letzte Nacht. Nicht nur die Unternehmer, die ja gewissermaßen nur ihre gesamtgesellschaftliche Rolle erfüllen, wenn sie freiwillig nur an ihre persönliche Bereicherung denken (daß Unternehmer immer Gefahr laufen, von der ursprünglichen Inspiration in Routine und Profitgier abzurutschen, unterstelle ich mal als natürlich, wie ich Sebastian Pinera guten Willen unterstelle, oder Dietrich Wagner Sachverstand). Sondern jeder von uns, der in dem System noch irgendwie oben bleibt und auf Kosten der Sicherheit und Würde anderer Menschen lebt.

Jeder Arbeiter in jeder Branche in jedem Land der Welt hat ein Recht auf Sicherheit und Würde.

Das ist es, was uns der Steiger und der Präsident letzte Nacht zu sagen hatten.



* Weshalb haben die ganzen Medien hierzulande immer von 'Minenarbeitern' in eine 'Mine' geredet? Das sind Bergleute (Einzahl 'Bergmann') in einem Bergwerk, und ihr Chef ist übrigens auch kein Schichtleiter, sondern ein Steiger. Wenn die Nachrichten international von 'miners' und 'mineros' reden, dann vergißt so ein kleiner Redakteur beim übersetzenden Wiedergeben der Agenturmeldung anscheinend gerne, daß wir dafür mal eine Fachsprache hatten...

** Macht nichts, daß Don Lucho wohl nie eine Bergbauschule besucht oder ein Ingenieursstudium abgeschlossen hat. Sein Funktion ist eindeutig die eines Steigers, so wie es auf einem Schiff einen Kapitän geben muß, auch wenn der vielleicht nicht an einer Hochschule wirklich Seefahrt studiert hat. Es ist letztlich die Frage, wer die Verantwortung hat, nicht, was für eine formale Ausbildung der hat. Ein Beispiel, das uns Kulturschaffenden hier vielleicht näher ist: Wenn jemand, der als IT-Hilfskraft zum Digitalisieren von Büchern in einer Bibliothek angestellt wurde, plötzlich aufgrund eines konkatenierten Personalausfalls einen Lesesaal voller wertvoller alter Bücher unter sich hat, dann ist er damit auch 'der Bibliothekar' und geht plötzlich früh schlafen, um morgens pünktlich aufzuschließen. Ohne Bibliothekswissenschaft studiert zu haben.

*** Fragt sich noch, in welcher Währung...

**** Der Kupferpreis ist in der letzten Zeit ohnehin so sehr gestiegen, daß im Zweifelsfall die Kosten allein durch die Steuermehreinnahmen aus den unerwartet gestiegenen Profiten der Kupferbergwerke wieder hereinkommen.


Permalink (20 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 6. Mai 2010
Weniger Überraschung dank klassischer Bildung
Da bin ich weniger erstaunt als manche, denn der alte Homer und seine Aoiden, sowie die weitere antike Bildungstradition, konnte zumindest Ilias und Odyssee auswendig, und je älter einer war, als umso weiser galt er.

Keltische Druiden und germanische Skalden, ditto. Die Druidenausbildung soll nach römischer Überlieferung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, gedauert haben, und bestand zu sehr großen Teilen im Auswendiglernen eines rein mündlich überlieferten Kanon.

Mit der Schriftkultur, und vollends mit dem Buchdruck, wurden derartige Überlieferungs- und Vortragsweisen obsolet. Ich hätte mich aber sehr gewundert, wenn die Menschheit als Ganzes das komplett verlernt hätte.-

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Montag, 26. April 2010
Timekeeping
Im Moment schimpfe ich eher über das Abhandenkommen einer verlässlichen öffentlichen Zeit. Die Uhren an meiner S-Bahn-Station gingen letzte Woche komplett nach Kartoffelsuppe, und heute gingen sie alle auf perfide Weise etwa drei Minuten nach, zumindest relativ zu den eintreffenden S-Bahnen und meiner Armbanduhr sowie meinem Käkätin, das nach weltzeituhr.de gestellt wird.

Aber vielleicht ist die Abschaffung der absoluten Zeit ja erstrebenswert. Es ist ja möglich, das Leben in near-realtime zu führen. Ob es auch in den 30 oder 40 Jahren noch Kinosäle gibt, wo Filme pünktlich anfangen? Okay, Live-Events fangen tendenziell halbwegs pünktlich an, und da wird auch keine neue Technik und keine postindustrielle Produktionsweise etwas dran ändern.

Permalink (4 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 22. November 2007
Wir sind bald wieder da...
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

(Martin Niemöller)
Das fällt mir zu dem Blogeintrag von Don2 ein, den Don1 verlinkt hat.

Wir haben zur Zeit zwei Buh-Gruppen, die 'islamischen Terroristen' und die 'bösen Kinderschänder', an denen der Abbau an Menschenrechten festgemacht und vorexerziert wird. Niemandem im Mainstream unserer Gesellschaft fiele es ein, für diese Nicht- und Untermenschen eine Lanze zu brechen.

Wenn aber diese Popanze geplatzt sind, dann steht vor den Mündungen der mächtigen Waffen, die der Staat (dessen Souverän längst nicht mehr 'Wir das Volk' ist, wenn wir es denn je waren) gegen diese 'Bedrohungen' angeschafft hat: - jeder einzelne von uns!
  • Hartz-IV-Schmarotzer
  • Copyrightpiraten
  • 'Gentrification'-Sager
  • Antikriegsdemonstranten
  • Unicef-Freiwillige
  • Stasi-Gegner
  • Trotzdem-noch-Raucher
  • PGP-Benutzer
  • Politikerlügen-Anzweifler
  • Krankenkassen-Ausnutzer
  • Steuerzahlungsunwillige
Diese 'Verbrechen' richten sich zumeist gegen ein rein ökonomisch verstandenes Gemeinwohl, das niemandem nutzt.

Ein guter Herrscher zu Zeiten, als es noch Untertanen gab, sorgte zuerst dafür, daß es seinen Leuten auf einem einfachen Niveau gut ging -- jeder sollte sonntags sein Huhn im Ofen haben. Das war Gemeinwohl. Ein schlechter Herrscher baute statt dessen Pappmachépaläste. Ein guter Herrscher in den alten, interessanten Zeiten erwartete nicht von seinen Leuten, sich für ihn zu opfern -- er sorgte dafür, daß nur über seine tote Leiche seinen Leuten auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Dafür baute er, sagen wir mal, eine Burg, und wenn der böse Nachbar kam und Bauernplündern spielen wollte, dann fanden seine Dörfler mit ihrem Vieh Zuflucht in der Burg, und der böse Nachbar bekam Haue von unserem putativen Grafen. Das war Patriotismus. Ein schlechter Herrscher dagegen ließ es sich von den Steuern seiner Bauern gutgehen.

Heute haben wir keine Herrscher mehr; wir haben eine Solidargemeinschaft mit gewählten Verwaltern. Das ist nicht etwa eine Nachfolge eines germanischen Wahlkönigtums, wie noch die Präsidentschaft der USA es ist; das ist etwas ganz anderes.

Wir sind das Volk. Wir sind souverän. Jeder von uns Kleinverbrechern da oben auf der Liste.

Nur denken unsere Verwalter, sie seien Herrscher, und Steuern und Abgaben seien nicht etwa unsere Mitgliedsbeiträge zur Demokratie, sondern Zahlungen der Untertanen an ihre Obrigkeit, die damit nach Gutdünken verfahren kann. Und um mehr davon zu haben, werden immer mehr Gruppen und Grüppchen aus der Solidargemeinschaft ausgegrenzt und als Schmarotzer gebrandmarkt, als Parasiten, die auf die Kosten 'des Steuerzahlers' leben würden.

Wer sich nichts zuschulden kommen läßt, hat nichts zu befürchten. Wer da oben auf der Liste steht, hat sich ja schon etwas zuschulden kommen lassen und ist freigeben, auf Linie gebracht zu werden. Mit jedem beliebigen Mittel - es geht um das 'Gemeinwohl'!

Dafür wird dieses Instrumentarium aufgebaut -- von Verwaltern, die glauben, sie seien Herrscher. Aber als Herrscher sind diese Verwalter mehr wie die Diktatoren des 20. Jahrhunderts, die in sicheren Bunkern hockend mit aberwitziger Rhetorik das eigene Volk zu hunderttausenden in den Tod treiben, als wie ein vom 19. Jahrhundert verklärter und idealisierter Gotenkönig, der acht Stunden in vorderster Linie kämpft und dann umkommt, aber damit dafür sorgt, daß alle seine Leute mit ihrem Leben, ihrer Freiheit und sogar ihrem Hab und Gut davonkommen.

Traut nicht euren Verwaltern, die sich als Herrscher aufspielen! Ihre Waffen verteidigen nicht euch gegen die bösen Terroristen und Kinderschänder, sie verteidigen das annektierte, entfremdete Gemeinwohl und das ökonomische Interesse ihrer Sponsoren: - gegen euch!!


Einen Teja gibt's auf keinem Wahlplakat; er ist grimmig und unpopulär und würde aus jeder Partei ausgeschlossen; und ganz besonders aus einer rechten, die schon wieder verhohlen von 'Volksgemeinschaft' faselt...

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren





Sonntag, 30. September 2007
Kulturschaffende
Wie ich schon gelegentlich erwähnte, gehört zu der großen Variation an Interessen, auf die ich mich in spontanen 'Forschungsanfällen' manchmal stürze, auch Rudolf Nurejew?

Und meine gute Freundin Sally aus Wales hatte mich auf dieses neue Buch über Nurejew hingewiesen, das bei der BBC in Ausschnitten im Radio vorgelesen wurde?

Nun, in dem Teil vom Montag jener Woche wurde ein Tänzer aus Ostberlin erwähnt, der mit Nurejew in Leningrad* studiert hatte. Den Namen konnte ich nicht verstehen, aber das fand ich nicht weiter bedenklich bei einem englischen Vorleser, der auch 'Shang Silly Say' sagte. Ich riet mal, das sollte 'Theo' heißen, und machte mit keine Gedanken. Dieser Mann soll Nurejew ermutigt haben, in den Westen zu gehen, blieb aber selber im Osten hinterm eisernen Vorhang stecken. Außerdem hat er jede Menge Bilder und Amateurfilmaufnahmen gemacht, die sehr aufschlußreich sein dürften, nach den online gefundenen Beschreibungen.

Dann schloß die BBC die heimliche Nurejew-Themenwoche mit einer Fernsehdokumentation über dessen frühen Jahre in Rußland ab, die im Gegensatz zu den Radiosendungen nicht einfach im Internet zu sehen war. Auch auf YouTube ist bis jetzt zu meiner Frustration nichts zu finden.

Aber ich habe ein bißchen gegoogelt und im Internet herumgestochert, und als ich den tatsächlichen, kompletten Namen von diesem Menschen fand, fiel ich fast vom Sofa vor Lachen.

Knut-Teja Kremke.

Das muß man sich mal einfach auf der Zunge zergehen lassen, und sein Hirn drum wickeln.

Knut**-Teja, geboren 1941. Dieser Name ist nicht nur der absolute, hinterletzte Abschuß, was die damals populären Doppelnamen angeht, sonder spricht so absolut Bände über den Zeitgeist, die Bildung der Eltern, und was man so für originell hielt, ich mußte wirklich massiv kichern.

Ich meine, ich habe in jungen Jahren, irgendwann in den frühen 80er Jahren auch von meinen Vorfahren unreflektiert den guten alten 'Krampf um Rom'*** in die Hand gedrückt gekriegt, und verschlungen, weil ich damals historische Romane einfach nur klasse fand. Ich habe sogar Gustav Freytag's 'Ahnen' gelesen und fands klasse, auch wenn ich heute nicht mehr sagen könnte, was drin stand.

Also konnte ich den Namen Teja sofort einordnen, was natürlich erheblichzu meiner Erheiterung beitrug.

Nachdem ich also erstmal erfolgreich erheitert war und mein Interesse geweckt war, habe ich dann als nächstes die Google-Suche auf 'deutsch' beschränkt, um all die Blog- und Zeitungsartikel aus England und Australien und wo sonst noch die BBC-Dokumentation schon gelaufen ist, auszuschließen. Wollte doch mal sehen, was die Quellen sonst noch so über den Mann zu vermelden hatten. Daß keiner über seinen Namen spotten würde, war mir klar, aber vielleicht hatte er sonst was geleistet, er war schließlich Tänzer und Photograph.

Sogar ein verdammt guter Photograph, wie die Bilder, die die Blog-und Newsartikel begleiteten, klar zeigten.


Rudolf Nurejew in Leningrad, Photo von Knut-Teja Kremke

Alles, was auftauchte, war ein alter DDR-Bildband von 1967 über das 'Leningrader Ballett'. Der geht für 'nen Appel und 'nen Ei her, also habe ich ihn prompt bestellt.

Der Mann machte wirklich hervorragende Photos. Mit seiner alten DDR-Kamera**** und dem unvermeidlichen Orwo-Material machte der Bilder, die lassen den Nazgul mit seiner digitalen SLR von Nikon noch neidisch werden.

Mal abgesehen davon, daß die Bilder auf sämtliche Bildunterschriften verzichten, einfach eine Geschichte des russischen Balletts als Vorspann, und Listen von Balletts und Tänzern im Anhang haben, was den guten Knut-Teja Kremke in die Lage versetzte, drei oder vier Photos von dem zu dem Zeitpunkt längst in den Westen abgehauenen und zum Weltstar gewordenen Nurejew reinzuschmuggeln - der machte einfach unglaublich gute Bilder. Ich muß mal in den nächsten Tagen ein paar davon auf den Scanner legen - der hat Querformate, auf Doppelseiten, da findet sich auf der einen Seite eine ungemein dramatische Geste, und die andere Seite ist nur dunkel, wo die Tiefe der Bühne die Beleuchtung phototechnisch einfach nur komplett verschluckt hat.

Eine Seite einfach schwarz. Nichts drauf außer schwarzer Farbe, die die Dramatik der Szene unterstreicht. Einfach nur eine schwarze Seite.

Die Kulturschaffenden der guten alten DDR waren nicht nur ganz schön raffitückisch, siehe oben, sie konnten sich auch sowas erlauben - das war ja nicht politisch suspekt.

Ist eine schwarze Seite politisch suspekt?

Suspekt waren laut meinen englischsprachigen Quellen auch die Umstände von Knut-Teja Kremkes Ableben im Alter von 37 Jahren, also nach Adam Riese ungefähr 1978? Keine Ahnung, was sie damit sagen wollen. Ich werde es vielleicht herausfinden, wenn das Buch in der nächsten Woche oder so eintrifft.

Ich finde das jetzt alles erstmal massiv interessant. Was ich damit machen werde -- keine Ahnung. Wenn ich das Buch über Nurejew habe, werde ich dem guten Knut-Teja Kremke (hach, der Name ist so schön schräg, den muß man einfach immer voll ausschreiben) erst mal 'nen Wikipedia-Artikel spendieren, auf Englisch und Deutsch.

Und dann? Mal sehen. Vielleicht nichts. Vielleicht recherchiere ich dann was anderes...


* Sorry, damals hieß das wirklich Leningrad. Die Umbenennerei in dieser Stadt treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn (und das ist noch, bevor ich anfange, mich über die Transskription kyrillisch geschriebener Namen aufzuregen, die beliebig variiert werden kann) - also versuche ich, immer den Namen zu verwenden, der zu der Zeit, von der ich rede, gültig war. Ich habe einen Experten an der Hand, der mir die wechselnden Namen der Petersburger Straßen im Laufe der Zeiten genau erläutern kann.

** Den Teil mit Knut lassen die Autorin der neuen Nurejew-Biographie und der Dokumentarfilmer gleich weg. Ich glaube, 'Knut' kennen die da nur im Zusammenhang mit kleinen Eisbären, während 'Teja' für die einfach nur massiv exotisch klingt.

*** Spitzname naheliegend wegen des unglaublich bemühten und geschraubten Stils, in dem das Buch geschrieben ist. Ich habe in den späten 90ern, nachdem ich einiges vom Personal dieses meines alten Lieblingsbuchs in Gary Jennings' 'Raptor' wiedergetroffen habe, nochmal versucht, das Buch wiederzulesen, und konnte nicht. Konnte einfach komplett nicht - der Stil war so schrecklich, das konnte man doch nicht lesen und ernst nehmen! Und so viele Seiten davon! Und das Buch fiel eh auseinander. Nein, also wirlich, nein!!

**** Mein Vater hat noch so ein Ding. Spiegelreflexkamera von Leica aus den 1960ern, völlig manuell/mechanisch, mit separatem Belichtungsmesser. Sehr kompliziert zu bedienen, braucht Rollfilm, macht aber massiv gute Bilder, wenn sie denn erst mal welche macht. Was jedes mal ungefähr so lange dauert wie das Laden eines Vorderladers. Umso mehr Respekt habe ich für Knut-Teja Kremke und die unglaubliche Bewegung und Dramatik in seinen Photos.

Permalink (39 Kommentare)   Kommentieren





Montag, 23. Juli 2007
'Out Of Africa'-Theorie, subjektiver Beweis
Der Mensch stammt aus dem äthiopischen Bergland - mehrere evolutionäre Entwicklungsschübe sind immer wieder von dort ausgegangen. Die Zivilisation stammt wohl auch aus dem äthiopischen Bergland und ist von da den Nil heruntergeschwommen gekommen. Irgendwas ist da oben, womit es sich vielleicht näher zu beschäftigen lohnen könnte, huh?

Auch Telepolis beschäftigt sich mit dieser Theorie und ihren möglichen Beweisen*, was sehr angebracht ist, denn eine der selbstgestellten Aufgaben der vierköpfigen Einmannredaktion (sorry, kann Hülpis Insider bei Boocompany gerade nicht finden, um ihn hier einzulinken) ist es, immer den aktuellen Diskurs in relevanten Wissenschaften darzustellen, deshalb gibt es gerne etwas zu Quantenphysik, Autismus oder Evolution.

Nun also die Abstammung aller Menschen aus dem äthiopischen Hochland. Da oben ist es politisch und geographisch etwas unwirtlich, sonst würden sicherlich mehr Leute zur Wiege der Menschheit pilgern. Gibt's da denn was zu sehen? Ja.

Da sind nämlich Leute, die sind dort nicht ausgewandert; das sind aber imemr noch die selben Leute wie die, die ausgewandert sind und sich überall auf der Welt den klimatischen Gegebenheiten angepaßt haben (und deshalb inzwischen in ihrem Aussehen etwas diversifiziert und spezialisiert sind). Überall - nicht mal die australischen Aborigenes, die dessen eine Zeitlang verdächtigt wurden, haben auch nur einen Tropfen Neanderthalerblut, oder, um es korrekter auszudrücken, auch nur einen Neanderthalermarker in ihrem Genom.

Dies wurde mir persönlich sehr klar, als der Nazgul und ich letztes Wochenende in einer U-Bahn-Station herumsaßen und zwei äthiopische (amharische?) Frauen vorbeikamen - nicht äthiopischer als wir alle, natürlich, siehe oben, aber doch erst sehr viel später von dort ausgewandert, so wie in 'sie wurden dort geboren'. Vielleicht waren sie auch keine Amharinnen (hatten nicht die groß-mager-langschädelig-Konfiguration, wegen der die Model-Agenturen mit Vorliebe in dem Teil Afrikas auf die Jagd gehen, siehe Iman oder Waris Dirie), aber auf jeden Fall Äthiopierinnen.

Ich schaute sie an, und stellte plötzlich fest, daß ich wirklich dem Prototyp des Menschen gegenüberstand - sie paßten eigentlich ein bißchen überall hin. Asiatisch, afrikanisch, europäisch - es war von allem etwas in diesen beiden Ladies. Als wenn man die Weltbevölkerung proportional zusammengeworfen und ineinandergemorpht hätte - nur waren die beiden nicht das Endergebnis, sie waren der Ausgangspunkt.

Ist das vielleicht der Grund, warum die Modelagenturen mit Vorliebe in diesem Teil Afrikas Jagd auf Talente machen? Nicht wegen der 'exotischen Schönheit', sondern vielmehr, weil sie dort Menschen finden, mit denen sich in unserer globalisierten Warenwelt irgendwie jeder identifizieren kann, weil sie mit jedem etwas gemeinsam haben - die unmodifizierten Nachfahren der gemeinsamen Vorfahren von uns allen?

Darüber lohnt sich, weiter nachzudenken, während Andy Collins' Theorien** erstmal weiter memetisch auf Eis liegen.


* Nur für die Sache mit der Evolution, nicht der Zivilisation. Das mit der Zivilisation habe ich vor ein paar Jahren einem exzentrischen Briten namens Andrew Collins, der beim Herumstolpern mit der Wünschelrute anscheinend auf eine Goldader gestoßen war, mit gnadenlos rationalistischer Interviewtechnik eigenhändig aus den Rippen geleiert. Es ist eine Außenseitertheorie, die man im Moment höchstens Leuten vom Kaliber eines Mathias Bröckers andrehen könnte; ich bin aber gerne bereit, ein paar Jahrzehnte zu warten, bis es für das freie Assoziieren eines sehr eigenwilligen Engländers auch Beweise gibt, die zu Fuß nachkommen können - und dann freudig zu krähen: 'Das habe ich doch gleich gesagt!'.
** AKA völlig unbewiesene Hypothesen, zu deren Äußerung vor kleinem Publikum ich ihn geradezu mit Daumenschrauben gezwungen habe; er hat noch nicht mal ein Buch drüber geschrieben. Nicht, daß ein Buch von ihm irgendeine Beweiskraft hätte, say sorry. Es ist nur ein Factoid, auf dem ich jetzt mal so lange sitzen bleibe, bis er irgendwo in einen sinnvolleren Kontext paßt - analog zu der Sache mit der Sparkassen-IT und dem 'es gibt immer einen größeren Fisch' in einem boocompanytechnischen Kontext.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 5. Juli 2007
Was bedeutet Globalisierung?
Globalisierung bedeutet, daß man die dummen Angewohnheiten anderer Völker übernimmt und cool findet.

So auch die Ammis.

Ich fand die Mineralwasserschleppe- und -trinkerei von uns Deutschen schon immer lächerlich. Es war so ein merkwürdiger deutscher Eigenweg, komplett mit Pfandkasten und Zwiebelflasche.

Seit Beginn der Globalisierung haben die Ammis uns das nachgemacht, finden es cool, und das erzeugt ein Problem - ohne Pfandkasten und Zwiebelflasche, zudem.

(via Seth Godin)

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren