Schicht im Schacht mit Don Lucho...
... oder, was wir alle von Chile lernen müssen.

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Gestern nacht hing ich bis gegen vier vorm Glotzophon, schaute auf BBC Worldwide die Rettung der Bergleute* in Chile an, bis ganz zum Ende. Da kam als letzter Bergmann der Steiger** hoch, 'Don Lucho', Luis Urzua, und hielt dem wartenden Staatspräsidenten eine relativ ausführliche Rede.

Das ist richtig. Der Bergmann redete, und der politische Quasselkopp hatte zuzuhören. Der Präsident versuchte zwar auch, seinen Teil zu der Unterhaltung beizutragen, aber er war nicht wirklich gefragt.

Was hatte Don Lucho nun dem Präsidenten zu sagen? Hat er sich bedankt? Hat er Kritik geübt und politische Forderungen gestellt? Mußte er sich von der Seele reden, was sich in 70 Tagen als oberste Autorität in einer Situation auf Leben und Tod angestaut hatte? Nunja, vielleicht ein bißchen von all dem.

Aber vor allen Dingen, so entnahm ich (mit meinen minimalsten Spanischkenntnissen und der wackligen Übersetzung der BBC) Don Luchos Ansprache, erstattete er einfach Rapport. 'Wir haben dies gemacht, dann haben wir das gemacht, dann ist dies passiert, dann haben wir jenes gemacht, und dann ist das falsch gelaufen...' Zum Ende, als er alles gesagt hatte, was er fand, daß er sagen mußte, erklärte er, jetzt hat er fertig und übergibt die Schicht, vielen Dank an alle. Und dann sangen sie alle zusammen sehr langsam und sehr schief die chilenische Nationalhymne.

Da übergab also einfach der Steiger, dem das Bergwerk während seiner Schicht unterstanden hatte, die Verantwortung zurück an seinen Vorgesetzten, und meldete sich vom Dienst ab.

Und ja, der Präsident ist wirklich der Vorgesetzte; das war kein patriotisches Pathos. Die Betreibergesellschaft des Bergwerks ist nach dem Unglück pleite gegangen, und der chilenische Staat hat sofort die Konkursmasse beschlagnahmt, damit sich nicht irgendjemand mit irgendwelchen Restwerten aus dem Staub machen kann. Und als Chef des Staates ist der Präsident dann wirklich Don Luchos oberster Chef.

Zugegebenermaßen ist dieser chilenische Präsident ein Konservativer, ein Freund der Bosse, durch seine Politik mitschuldig an dem Unglück, und im Zivilberuf Milliardär*** -- aber in dem Moment nahm man ihm ab, wirklich lernfähig zu sein. Und seinen persönlichen Einsatz hat er demonstriert, indem er da war, bei jedem einzelnen Bergmann, 24 Stunden lang. Sicherlich konnte er sich irgendwo hinsetzen und 'nen Kaffee trinken, wenn die Fenix-Kapsel wieder unterwegs war, aber wenn wieder einer hochkam, stand der Präsident da und hieß ihn persönlich willkommen. Jedes Mal. Geschlafen hat der nicht. Der hat das da ausgehalten, an seinem eigenen verwöhnten Milliardärskörper, hat das mit den Einsatzkräften wortwörtlich durchgestanden, hat zwischendrin hellwach der BBC (und sicher auch anderen Medien) ein bemerkenswertes Interview gegeben, und damit einen Einsatz gezeigt, der wirklich unbequem und physisch massiv unangenehm gewesen sein muß. Das nur als Anhaltspunkt, weshalb ich ihm jetzt erstmal bis zum Beweis des Gegenteils guten Willen unterstelle.

Der BBC-Reporter stellte nämlich freudig auch unangenehme Fragen, und der Präsident von Chile dachte gar nicht daran, sich zu winden und Ausflüchte zu machen, wie wir es von jedem westlichen Politiker selbstverständlich erwarten. Ja, der Staat war mit Schuld an dem Unglück. Ja, das Bergwerk hätte längst geschlossen gehört und hätte nach den warnenden Anzeichen, die die Bergleute gemeldet hatten, nicht mehr in Betrieb sein dürfen. Ja, das war ein großes Versäumnis, seine Regierung ist selbst in der Pflicht, und man wird sich ändern. So etwas wird nicht wieder vorkommen, und der Staat wird dafür sorgen, daß die Sicherheit und die Würde jedes Arbeiters in Chile zukünftig respektiert wird, nicht nur im Bergbau, in jeder Branche, ob das nun Bergbau, Stahlindustrie, Schiffbau oder Fischerei ist.

Das hat er dann später in seiner Rede an die Angehörigen der Bergleute in Camp Esperanza nochmal gesagt: Sicherheit und Würde der Arbeiter sind genauso wichtig wie Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

Sicherheit -- klar. Da hat Chile als Schwellenland Nachholbedarf, da gibt es gewerkschaftliche Positionen und Technologien und gesetzliche Regelwerke aus anderen Ländern, und vieles ist sicher schon erreicht, wenn das eingehalten wird, was bereits Vorschrift ist, und keine Ausnahmen mehr gemacht werden für irgendwelche Bosse, die im selben Club Golf spielen wie irgendein wichtiger Beamter oder Regierungsvertreter. Chile hat auch mit dem unbedingten Willen, die Bergleute zu retten, koste es was es wolle (auf die Frage nach den Kosten sagte der Präsident der BBC, das sei doch völlig egal****), gezeigt, daß es ein zivilisiertes Land ist, im Gegenteil zu Gegenden wie China oder Rußland, wo Bergleute schon mal in ähnlichen Situationen zu hunderten zu Tode kamen.

Würde. Der Präsident hat immer von der Würde der Arbeiter geredet, und das ist es, was wir in diesem Moment, in dieser geopolitischen Konstellation, von Chile lernen können.

Respekt vor der Würde und der Leistung der Arbeiter bedeutet nicht nur, sie angemessen zu bezahlen. Das gefährliche alte Gold- und Kupferbergwerk zahlte sehr gut, deshalb haben diese Bergleute dort ja überhaupt gearbeitet. Die arbeiteten da teilweise, damit ihre Kinder studieren können und mal ein besseres Leben haben werden. Geld ist hier nicht das Thema, oder nur am Rande.

Arbeitslohn sollte ja (trotz gegenteiliger Witze) kein Schmerzensgeld sein, und das ist er, ohne Würde.

Als ich dabei war, als junger Hüpfer zu lernen, was es heißt, die Verantwortung für die Computerei zu haben, ohne die die gesamte Firma nicht arbeiten konnte, hat mich mal ein alter Hase eingebremst, als ich etwas arg radikal wurde und über die Stränge schlug, indem er mir sagte, mir fehlte noch der Respekt für die Arbeit anderer Leute.

Das ist es, was fehlt. Das ist es, was wir aus dem Unglück im Bergwerk 'San José' und seinem glücklichen Ausgang, und aus Don Luchos Rapport an den Präsidenten, lernen können.

Respekt vor der Arbeit der Bergleute hätte bedeutet, daß die Bosse ihnen zugehört hätten (wie dann am Ende der Präsident Don Lucho zuhören mußte) und ihre professionelle Erfahrung respektiert hätten, als sie vorher gesagt haben, das Bergwerk arbeitet mehr als sonst, es kracht viel öfter als zwei Mal pro Schicht, da passiert bald was, man muß etwas unternehmen.

Die Würde der chinesischen Arbeiter bei Foxconn ist es, was den westlichen Auftraggebern von Apple, Dell, HP und so weiter so furchtbar egal ist, und weshalb dort Menschen gestorben sind. Ein bißchen mehr Geld stellt die Würde nicht wieder her. Anständige Unterkünfte mit Privatsphäre, und ein Umgang mit den Menschen unter dem Vorzeichen, daß es sich um erwachsene eigenverantwortliche Menschen wie man selbst handelt, würden da eher helfen.

Mangelnder Respekt vor den Bedenken der Menschen in Stuttgart gegen den großformatigen, teuren Umbau ihrer Stadt ist es, was die Situation dort vor 14 Tagen so hat eskalieren lassen. Wenn ein 66jähriger Ingenieur im Ruhestand, noch frisch von einem ganzen Leben professioneller Erfahrung (nach einer guten Ausbildung, die ihn dazu befähigt hatte, diese Erfahrung zu sammeln), protestiert, daß das, was die da bauen wollen, technisch und wirtschaftlich Quatsch ist (und die Erfahrung, das zu sagen, unterstelle ich ihm mal, angesichts der Eckdaten, die von ihm bekannt sind, wie ich dem chilenischen Präsidenten guten Willen unterstelle), dann hört man ihm zu, und schießt ihm nicht mit einem Wasserwerfer beide Augen aus.

Wenn jede Firma in jeder Branche verpflichtet ist, die Würde ihrer Arbeiter und Angestellten zu achten, so wie es der chilenische Präsident für sein Land versprochen hat, dann ist hier bei uns in der 'ersten Welt' für viele schlechte Angewohnheiten erst mal Schicht im Schacht. Ja, die Redewendung 'Schicht im Schacht' stammt aus dem Fachjargon der Bergleute, und Don Lucho hat uns letzte Nacht daran erinnert, indem er seine Schicht ganz wörtlich formell aus dem Schacht gebracht hat.

Schicht im Schacht für alle großen internationalen Konzerne, die die Würde ihrer Angestellten mißachten, indem sie sie als human resources betrachten, die komplett fungible sind, die man mit Consultant-Zecken gängeln, mit Kameras überwachen, wie Schachfiguren beliebig in der strategischen Konzernaufstellung herumschieben, ausgliedern, wieder eingliedern, ungefragt versetzen oder in eine Ecke abschieben darf, anstatt sie wie erwachsene Menschen zu behandeln, die ihren Beruf verstehen und die ihren angemessenen Arbeitslohn nicht dafür bekommen, daß sie sich mit Haut und Haaren an ihren Arbeitgeber verkaufen, der dafür mit ihnen machen darf, was er will, sondern die dafür als selbstverantwortliche Menschen eine gute Arbeit abliefern, deren Stellenwert in der Firmenganzheit ihnen eine professionelle Würde gibt.

Schicht im Schacht für Politiker, die ihr Mandat als Verpflichtung gegenüber den Wahlkampfspendern ihrer Partei und als Gelegenheit, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, ansehen, und die Würde der souveränen Wähler mißachten, die mit ihrer Arbeit das Steueraufkommen finanzieren, das die regierenden Blindgänger dann hinterher an Leute verteilen, die zufällig im selben Club Golf spielen wie sie und ihnen hinterher bei einem wohlschmeckenden Kaltgetränk erklären, wieso sie dies und das so und so zu sehen haben. Das endet dann damit, daß irgendwelchen Bankstern ungebremst Geld nachgeworfen wird und plötzlich ansatzlos die Atomkraftwerke weiterlaufen sollen. Letzteres zeugt von der völligen Abwesenheit jeglichen Respekts vor der Arbeit der inspirierten Unternehmer, sogfältigen Ingenieure, qualitätsbewußten Fabrikarbeiter und erfahrenen Monteure, die auf dem besten Weg waren, mit dezentralen alternativen Energien die fossilen Brennstoffe und die Kernenergie volkswirtschaftlich, arbeitsplatztechnisch und in der Energiebilanz völlig zu ersetzen.

Schicht im Schacht für die Dumpinglohnunternehmer und ALG-II-Kürzer, die in einer perfiden Allianz von Furcht und Schrecken aus (relativ zur Inflation) immer billigeren Arbeitskräften immer mehr Profit ziehen, indem sie die Würdelosigkeit der Ausbeutung und der Gängelung freudig aus den Ländern reimportieren, in die sie zuvor einen Teil der hier einstmals gut bezahlten Arbeitsplätze exportiert hatten. Karel und Edita machen's bekanntlich für die Hälfte, und Frau Wu und Herr Li haben nie gelernt, daß die Würde des Menschen unveräußerlich ist und sie ein Recht darauf haben, das durchzusetzen. Dazu importiert man Waren, die von diesen Leuten unter Verlust der ihnen (laut dem chilenischen Präsidenten) zustehenden Sicherheit und Würde produziert wurden, denn nur so können hierzulande Callcenteragenten im Osten oder Hartz-IV-Empfänger überhaupt überleben, ohne daß es zu Hungeraufständen käme wie zu Beginn der industriellen Revolution. Ohne Superbilligangebote aus würdeloser Produktion in Schwellenländern könnten diese Menschen nicht zumindest so minmal am Konsum teilhaben, daß sie sich das gefallen ließen. Das fällt unter 'Brot und Spiele'. Sicherheit und Würde wären eher mit Mindestlohn und bedingungsloser Grundsicherung zu erreichen.

Schicht im Schacht für die Spätzlemafia, die ja jeder ordentliche Schwabe jahrelang hat gewähren lassen, weil sie Wohlstand ins Ländle gebracht haben, den Teil mit dem 'Häusle baue' beschleunigt haben, und dafür gesorgt haben, daß alles rund lief. Aber jetzt mißachten sie großflächig Sicherheit und Würde all der ordentlichen Schwaben, sie haben plötzlich gar keinen Respekt mehr vor der Arbeit all der Ingenieure und Lehrer und Vorarbeiter und Häuslebauer, und auf ein Mal rummst es.

Es ist das ureigenste Kennzeichen der vielgescholtenen 'Arroganz der Macht', Sicherheit und Würde der Menschen zu mißachten, die man zu beherrschen glaubt, und den Respekt vor der Arbeit anderer Leute dem Streben nach eigenem Profit unterzuordnen.

Wir sind hier nämlich die Bananenrepublik, und wir sollten uns was schämen. Nicht nur unsere Politiker, die sich niemals hinstellen und alle Fehler zugeben würde wie der chilenische Präsident letzte Nacht. Nicht nur die Unternehmer, die ja gewissermaßen nur ihre gesamtgesellschaftliche Rolle erfüllen, wenn sie freiwillig nur an ihre persönliche Bereicherung denken (daß Unternehmer immer Gefahr laufen, von der ursprünglichen Inspiration in Routine und Profitgier abzurutschen, unterstelle ich mal als natürlich, wie ich Sebastian Pinera guten Willen unterstelle, oder Dietrich Wagner Sachverstand). Sondern jeder von uns, der in dem System noch irgendwie oben bleibt und auf Kosten der Sicherheit und Würde anderer Menschen lebt.

Jeder Arbeiter in jeder Branche in jedem Land der Welt hat ein Recht auf Sicherheit und Würde.

Das ist es, was uns der Steiger und der Präsident letzte Nacht zu sagen hatten.



* Weshalb haben die ganzen Medien hierzulande immer von 'Minenarbeitern' in eine 'Mine' geredet? Das sind Bergleute (Einzahl 'Bergmann') in einem Bergwerk, und ihr Chef ist übrigens auch kein Schichtleiter, sondern ein Steiger. Wenn die Nachrichten international von 'miners' und 'mineros' reden, dann vergißt so ein kleiner Redakteur beim übersetzenden Wiedergeben der Agenturmeldung anscheinend gerne, daß wir dafür mal eine Fachsprache hatten...

** Macht nichts, daß Don Lucho wohl nie eine Bergbauschule besucht oder ein Ingenieursstudium abgeschlossen hat. Sein Funktion ist eindeutig die eines Steigers, so wie es auf einem Schiff einen Kapitän geben muß, auch wenn der vielleicht nicht an einer Hochschule wirklich Seefahrt studiert hat. Es ist letztlich die Frage, wer die Verantwortung hat, nicht, was für eine formale Ausbildung der hat. Ein Beispiel, das uns Kulturschaffenden hier vielleicht näher ist: Wenn jemand, der als IT-Hilfskraft zum Digitalisieren von Büchern in einer Bibliothek angestellt wurde, plötzlich aufgrund eines konkatenierten Personalausfalls einen Lesesaal voller wertvoller alter Bücher unter sich hat, dann ist er damit auch 'der Bibliothekar' und geht plötzlich früh schlafen, um morgens pünktlich aufzuschließen. Ohne Bibliothekswissenschaft studiert zu haben.

*** Fragt sich noch, in welcher Währung...

**** Der Kupferpreis ist in der letzten Zeit ohnehin so sehr gestiegen, daß im Zweifelsfall die Kosten allein durch die Steuermehreinnahmen aus den unerwartet gestiegenen Profiten der Kupferbergwerke wieder hereinkommen.


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jean stubenzweig, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 20:30
Wenn ich richtig informiert bin,
war die Mine bereits geschlossen worden und wurde widerrechtlich wieder eröffnet. – Aber das nur am Rand. Im Vordergrund: Ich habe Ihren Beitrag heftig kopfnickend gelesen.

«Bleiwüste»? Gerne hätte ich weitergelesen. Etwa über die Lore-Roman-Berichterstattung auch in führenden Magazinen unterschiedlicher Medien. Aber das kann ich ja selber tun.

sethos, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 20:39
Das widerrechtliche Eröffnen des 2007 geschlossenen Bergwerks ist ja das primäre Versäumnis der gegenwärtigen Regierung, das der Präsident in dem Interview und in seiner Rede zugegeben hat, als es sagte, ja, die Regierung ist auch Schuld.

Mir ging es aber um die Lehre daraus, nicht darum, einen umfassenden Bericht oder Kommentar zu den Ereignissen abzugeben.

Was die Lore-Roman-Berichterstattung angeht, so hatte die einen Vorteil: - dem Leser und Zuschauer IMMER vor Augen zu halten, daß diese fremden Chilenen mit ihren braunen Gesichtern ganz genau solche Menschen wie sie selber sind.

Das erleichtert die Identifikation.

Ich weiß, Brecht wollte sowas vermeiden, aber das holt das aktuelle Publikum da ab, wo es ist.

Um ihnen dann hinterher, wenn sie schön emotional aufgeweicht sind, die Relevanz von 'Sicherheit und Würde für jeden Arbeiter' reinzudonnern.-

jean stubenzweig, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 23:11
Vielleicht hätte ich
einfach nur schreiben sollen, was ich zu schreiben vorhatte: Ihr Text hat mir gut gefallen.

Aber nun sind Sie bei Brecht, was mich dann zu Schiller und dessen gern zitierter, aber eben häufig verbogenen Wahrheit bringt, die nur mit List zu verbreiten sei, und am Ende landen wir dann bei dem ollen Griechen, der am hellichten Tag mit der Lampe in der Hand auf der Agora nach Menschen suchte. Dann müßte ich ausholen – weil mich überall Zusammenhänge verfolgen; ein Beispiel dafür wäre das hier. Doch darauf zu reagieren, dafür habe ich schließlich meine zu befüllenden kalten Spalten.

sethos, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 23:22
Danke!

Ich beobachte schon immer Ihren Blog, um zu sehen, was Sie dann zu dem Thema zu sagen haben.

Außerdem ist es Teil der menschlichen Natur, überall nach Zusammenhängen zu suchen; so verstehen wir die Welt und stellen sicher, nicht ständig das Rad neu zu erfinden.

Und jetzt haben wir das Internet, wo wir einen Zusammenhang herstellen können, indem wir einfach nur einen Link zur Erfindung des Rades legen, und ansonsten mit unserem Gedankengang weitermachen.

lexmosgrove, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 20:45
Sehen Sie, aus eben diesem Grund habe ich vor zwei Jahren einen Winter auf der Straße der vom Arbeitsamt verordneten Sklavenarbeit vorgezogen. Jetzt frage ich mich, was wohl passieren würde in diesem Land, wenn wesentlich mehr Leute das tun würden.

sethos, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 20:52
Ich glaube, es geht nicht so sehr darum, persönliche Opfer zu bringen, so wie Sie. Das ist eine sehr respektierenswerte Wahl, aber wenn sich mehr der shock-and-awe-Taktik, die man Hartz IV nennt, verweigern würden, hat das noch keine Breitenwirkung, so daß es für Politiker und Konzerne unangenehm wird.

Wenn sich bislang für harmlos gehaltene steuerzahlende Spießbürger zu vielen Tausenden hinstellen und Sicherheit und Würde für jeden einfordern, dann hat das durchaus eine Chance, wahrgenommen zu werden. Der Protest gegen Stuttgart 21 ist da erst der Anfang.

Am besten wäre immer noch eine erdrutschartig verlorene Wahl...

lexmosgrove, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 21:55
Da haben Sie zweifellos recht.

Allerdings habe ich damals die Erfahrung gemacht, daß damals doch einige Passanten mit ehrlichem Interesse nachgefragt haben, wie ich denn in meine unangenehme Lage geraten sei, und nun könnte ich mir durchaus vorstellen, daß einige von ihnen ins Grübeln kommen und möglicherweise auf rebellische Gedanken, wenn sich vermehrt Leute öffentlich weigern, sich von Staat oder Konzernen ausnehmen zu lassen.

Irgendwoher müssen die Protestler ja kommen.

sethos, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 22:43
Die Protestler kommen überall her, aus der Mitte der Gesellschaft, aus Subkulturen, aus Randgruppen und von den (mehr oder minder) temporär abgehängten Aussteigern.

Es ist eine Frage des Leidensdrucks; wird der zu groß, dann platzt der Kragen.

Eine Parallelgesellschaft aufzubauen, in der diejenigen irgendwie überleben können, die wählen, aus der Matrix auszusteigen, um dann irgendwann die Gesellschaft von unten zu kippen, wäre schon ein arg großes Projekt...

lexmosgrove, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 23:38
Ach, soweit wollt' ich ja nun auch nicht gehen...

sethos, Donnerstag, 14. Oktober 2010, 23:39
Ebent.-

gorillaschnitzel, Freitag, 15. Oktober 2010, 01:54
Maestro sethos!
Was ein Text! Chapeau! Wissense, ich finde: Man kann schlechte Texte schreiben, man kann durchschnittliche Texte schreiben und man kann gute Texte schreiben. Manchmal schreibt man auch sehr gute Texte. Ganz selten aber schreibt man Texte, bei denen sehr überzeugend erkennbar ist, dass sie wirklich mit Herzblut geschrieben sind. Das sind die grandiosen Texte.
So. Und jetzt les ich das Ding nochmal. (Ehe ich was inhaltliches dazu schreibe, möchte ich erstmal sacken lassen)

sethos, Freitag, 15. Oktober 2010, 02:05
Danke sehr!

Manchmal kann ich halt den Einfluß meiner Herkunft nicht verleugnen. Der Herr Paster mußte jede Woche eine Predigt schreiben; ich mache das nur, wenn ich will.

Mich rief heute früh, zu früh für meine Verhältnisse, jemand an, der vergessen hat, daß bei seiner eigenen Telefonanlage, die er vor etwa 15 Jahren käuflich erworben hat, eine Null vorgewählt werden muß, um rauszukommen. Danach fing ich dann irgendwie an zu denken, was ich denn da den größten Teil der letzten Nacht gesehen hatte, und als ich eine Überschrift dafür hatte, habe ich den Rechner angeworfen, und angefangen zu schreiben, was da alles so gärte...

gorillaschnitzel, Freitag, 15. Oktober 2010, 15:55
Bitte sehr!

Jetzt auch mal inhaltlich:

Hierzulande gab es lange Zeit einen großen Vertrauensvorschuss für Wirtschaft und Politik. Das mag vielleicht auch daran begründet liegen, dass es hier durchaus mal Leute gab, die wussten, was Anstand und Respekt ist, was lange nachwirkte. Robert "der rote Robert" Bosch etwa. Von dem ist überliefert, dass er mal gesagt haben soll, er zahle nicht deshalb gute Löhne weil er reich sei, sondern er sei reich, weil er gute Löhne zahle und der den Achtstundentag einführte, als das noch konterrevolutionär und staatszersetzend war. Dessen Stiftungen und Krankenhaus sind bis heute hoch angesehen und bis heute arbeitet man beim Bosch, während man bei (z.B.) HP arbeitet.

Und gerade Respekt geht mittlerweile ab. Man wählt Volksvertreter und nicht einen Vormund, der nach der Wahl alles tun und lassen darf, was ihm grade so in den Sinn kommt. Bei Stuttgart 21 etwa war es so: Erst war das ein lokales Thema, sie haben nicht zugehört. Dann war es ein Baden-Württemberg-Thema, sie haben nicht zugehört. Jetzt ist es ein Deutschlandthema, das auch Wellen ins Ausland schlägt und jetzt müssen sie zuhören. Ob sie es verstehen steht nochmal auf nem anderen Blatt (wohl eher nicht, weil sie noch immer diffamieren, kriminalisieren, Wahrheiten verdrehen und lügen).
(Nur mal nebenbei wegen der Wellen ins Ausland und weil Chile in Ihrem Beitrag keine ganz kleine Rolle spielt....: Selbst in Santiago de Chile blieb Schuster nicht von den Protesten verschont)

Wer die Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag oder das Kreuzle auf einem Wahlzettel als Legitimation interpretiert, nun allerlei Sauereien anstellen zu dürfen, der hat ein paar grundlegende Dinge überhaupt nicht verstanden und im besten Fall kriegt er es dann irgendwann auch um die Ohren gehauen. Manchmal dauert es eben etwas länger, aber irgendwann ist mal -um Ihre Worte zu bemühen- Schicht im Schacht. Stuttgart etwa hat sich mittlerweile auch dauerhaft verändert. Diesen Phönix kriegen die nimmermehr in die Asche.

sethos, Freitag, 15. Oktober 2010, 16:22
Genau so!!!

Das ist der Punkt -- der Irrtum ist, wir gäben mit unserer Unterschrift oder unserem Kreuzchen unsere Rechte ab. Wir dürfen wählen, wo wir unser Kreuzchen machen und (wenn wir Glück haben) wo wir unterschreiben, den Rest machen dann die.

Es gibt noch solche Unternehmer, wie neulich Jean Stubenzweig ausführte. Interessanter ist der Unternehmer da auch ein Schwabe. Der Mann ist hochexzentrisch, aber ganz offensichtlich funktioniert sein Ansatz für ihn und seine 1200 Arbeiter und Angestellten. Die nicht den Eindruck machen, als ob ihnen Sicherheit und Würde fehlen würde.

Aber wir können uns leider nicht drauf verlassen, daß ein Unternehmer so ist. Speziell bei börsennotierten Unternehmen, die Manager haben statt Inhabern, und die auf Dividenden und Boni hinarbeiten, nicht langfristige Existenzsicherung aller Beteiligten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß irgendjemand in irgendeiner Form seiner Würde beraubt und um Geld betrogen wird.

gorillaschnitzel, Samstag, 16. Oktober 2010, 02:39
Offtopic
Wenn´s unter uns bleibt: Ohne Sie (der Kommentar mit den 70 Besuchern machte mich etwas stutzend, da hätten 3/4 der üblichen Verdächtigen geklickt) wäre der Sturm -von mir wahrscheinlich weitgehend unbemerkt, ich danke Ihnen- vorübergegangen. Nach Ihren Referrern hab ich meine geschaut und erstmal überlegt, ob ich das nun gut finden soll oder nicht. Ich habe blogcounter wohl seit 4 Jahren nimmer angeschmissen, heute aber doch, die Neugier war größer.
Und was mich extrem nervt: Die Facebook-Referrer sind nicht nachzuverfolgen, da landet man im Nirgendwo, zumindest dann, wenn man noch so oldschool ist wie ich und kein Facebookkonto hat.

Das schöne an medial minderwichtigen Gestalten wie mir ist ja: Morgen ist wieder alles beim alten....es zieht wieder weg....

sethos, Samstag, 16. Oktober 2010, 03:06
Fratzenbuch?

Naja, irgendjemand, der den Link bei DA gesehen hat, wird das auf seinem Fratzenbuch-Account (ich habe auch keinen, Fratzenbuch ist für RL, und ich habe es nicht vor, mich und mein Leben´irgendwie der Datenkrake in den Rachen zu werfen) gelinkt haben. Das Diagramm ist wirklich sehr hübsch und beeindruckend.

Ich hatte neulich auch mal einen Fratzenbuch-Referrer, der mir gar nicht gefallen hat, weil man bei denen nämlich nie sieht, wer das war und warum der auf einen gelinkt hat.-

Meine Referrer sind jetzt bei 210 für den einzigen Link von Ihnen.

Aber ja, das geht vorbei, und dann ist wieder Ruhe in unserem kleinen Winkel vom Internetz.

gorillaschnitzel, Samstag, 16. Oktober 2010, 03:15
Vom Fratzenbuch (und Twitter) aber entwickelte sich dann ein Eigenleben. Da fühlten sich sogar Menschen bemüßigt, meine händischen Diagrammkritzeleien -entstanden während des Konsums von Gnocchi Vierkäse plus Rotwein mitsamt Fettfleck auf dem Original- gleich mal professioneller zu gestalten.

Aber gut. Leben wir damit. Sie mit den rübergespülten Predigtlesern, ich mit den Fratzen und Zwitscherern. Morgen ist wieder Alltag.

sethos, Samstag, 16. Oktober 2010, 03:19
Ich glaube, morgen mache ich Fotos von meinen Katern und poste die hier. Dann ist wirklich wieder alles normal

Und wie wärs mit noch einem Rußland-Post bei Ihnen? Ich fand die bisherigen total faszinierend, auch wenn ich nichts gesagt habe. Vor allen Dingen der über St. Petersburg, wo ich auch schon mal war.

gorillaschnitzel, Samstag, 16. Oktober 2010, 03:29
Es steht noch ein Mal Baikalsee aus, total verregnet (und wegen mir noch etwas Irkutsk), aber ich bin ja mittlerweile Berufsdemonstrant und als solcher ja sogar staatlich anerkannt. Da muss man schon den Ruf wahren und die Zeit für anderes geht dann schon mal ab. Ernsthaft: Da liegt ein AntiS21-Beitrag schon offline und ich habe mich in den letzten Stunden wirklich ernsthaft gefragt, ob mein Blog ein AntiS21-Blog werden sol (natürlich nicht)l. Natürlich nimmt das grade einen breiten Teil meines Lebens ein und das spiegelt sich ja auch irgendwie im Blog, aber es ist eben nur was es ist: Ein Teil
Anstürme hatte ich schon ein paar. U.a.: Ein mal durch donalphons (das war okay, weil ein Kompliment), ein mal durch eine pseudoliberalenichtganzunbekannte Seite (weniger okay). Warten bis morgen und dann Russland posten...

sethos, Samstag, 16. Oktober 2010, 03:41
Ich hatte mal einen Riesendurchmarsch, als die Dokumentation über Nurejews frühe Jahre auf Arte lief, und ich anscheinend eines der Top-Google-Resultate für den schönen Namen Knut-Teja Kremke war.

Ich bin auch weder ein Spezialist für Kulturschaffende noch für politische Zusammenhänge, Siemens-Bashing oder tiefschürfende Diskurse, wie ich damals auch schon mal formell angesagt habe.