Das können wir doch auch, Folge 144
Sogar die Ösis haben genug von ihren Prälaten.

Und hier ist die Verflechtung von Staat und Kirche noch enger, siehe Kirchensteuerämter beim staatlichen Finanzamt etc. Soll sich doch zur Abwechslung die Kirche mal gesundschrumpfen, und nicht der Rest der Gesellschaft.-

Und das sage ich als nicht ausgetretener Nachfahre von Generationen evangelischer Pfarrer. Aber wir sind jetzt im 21. Jahrhundert angekommen; Religion ist Privatsache, und die Kirchen können nicht mehr davon ausgehen, daß sie eh gebraucht werden. Jede normale Kirchengemeinde hält Ressourcen vor, die nur zwei Mal im Jahr -- zu Weihnachten und zur jährlichen Erstkommunion/Konfirmation -- wirklich ausgeschöpft werden. Ansonsten heizen sie riesige leere Räume. In den Städten gibt es auch noch so viele Kirchengemeinden, daß sie für jeden Stadtbewohner fußläufig zu erreichen sind. Das ist schlicht und ergreifend überdimensioniert. Für Weihnachten können sie doch genausogut Hallen mieten. Abschied von der Staatskirche hieße auch, daß die Kirchen etwas für ihre Leute tun müßten, ihnen etwas bieten müßten, um zahlende Mitglieder zu gewinnen und Teile ihres Apparats weiterzubetreiben. Es käme neues Leben hinein. Man würde sich etwa anschauen müssen, was die orthodoxen Kirchen oder (horribile dictu!) auch der Islam richtig machen, daß dort kein Mitgliederschwund herrscht, die Leute freiwillig Beiträge leisten, weil es eben keinen Kirchenstaatsvertrag gibt, die Leute ganz anders verwurzelt sind und sich identifizieren können mit einem Gemeindebetrieb, den sie selbst am Laufen halten, weil sie ihn haben wollen. Religion gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschheit, das haben wir mit dem Ende des Ostblocks und speziell der Sowjetunion gesehen. Die Nachfrage ist per se da. Unsere Kirchen sind nur so vollgestopft mit Staatsgeldern, daß es sie nicht wirklich zu interessieren braucht, ob sie vielleicht seit Jahrzehnten an der Nachfrage vorbei wirtschaften, während derweil irgendwelche Floater, Baghwan-Jünger und fraudulente Telefon-Astrologen sich das ehemalige Kerngeschäft unter den Nagel reißen. Wenn man sie vom Staats-Tropf losmacht und ihnen sowohl die direkten Subventionen als auch die offizielle Kirchensteuer entzieht, dann überlebt nur das, was gebraucht wird -- und das, was überleben will, muß dafür sorgen, daß es tunlichst wieder gebraucht wird! Um das zu fordern, muß man kein Atheist sein. Ich gebe zu, ich bin keiner. Aber was der Staat der Kirche an Geld reinschiebt, ärgert mich; und nicht nur wegen irgendwelcher Prügel-Priester und Pädo-Pfaffen.

Kommentieren




arboretum, Mittwoch, 2. März 2011, 01:18
Ansonsten heizen sie riesige leere Räume.

Ärmere Kirchengemeinden haben schon seit vielen, vielen Jahren "Winterkirchen" eingerichtet, das heißt, sie feiern dann ihre Sonntagsgottesdienste in kleineren Räumen, meist sind die im Gemeindehaus. Und in den größeren Kirchen ist es oft lausig kalt im Winter. Ich habe im Januar ein Konzert mit Lesung in einer großen Kirche erlebt - danach war ich schockgefrostet.

Anscheinend haben Sie auch noch nicht mitbekommen, dass sowohl die evangelischen Kirche als auch die katholischen gerade in den Städten Gemeinden zusammenlegt und auch Kirchen aufgibt, weil die Gemeinden die nicht mehr unterhalten können. Die Nachnutzung ist aber ein Problem, insbesondere für die katholische Kirche. Aber auch die evangelische Kirche möchte hierzulande nicht, dass in die aufgegebenen Sakralbauten ein Nachtclub einzieht. Andere Gemeinden -wie assyrische und koptische Christen und was es da sonst noch alles gibt - haben aber in der Regel nicht das Geld, um den Kirchenbau abzukaufen. Viele ausländische Gemeinden teilen sich in den Städten daher die Kirchen mit der ortsansässigen (meist katholischen) Gemeinden, das heißt, die dürfen deren Kirche mitbenutzen und dort ihre Gottesdienste feiern.

Ein weitere Aspekt, den Sie nicht bedacht haben: Wer erhält die Kirchenbauten und die ganzen Kunstwerke, die sich darin befinden? Auch das wird von Kirchensteuern finanziert.

Im Übrigen gehen sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche längst neue Wege, um ihre Gemeindemitglieder aber auch Nicht-Gemeindemitglieder anzusprechen. Sei es durch niederschwellige Angebote oder Veranstaltungen.

Darüber hinaus leisten sie auch Jugendarbeit und jede Menge Bildungs- und Sozialarbeit. In größeren Städten gibt es Sozialpfarrämter, die sich beispielsweise um die Hartzies kümmern. Diakonie und Caritas kümmern sich ebenso ums Soziale - zum Beispiel um Obdachlose - sowie um die Pflege.

Krankenhausseelsorge und Notfallseelsorge sind ebenfalls zu nennen. Was glauben Sie denn, wer mitgeht, wenn die Polizei mal wieder eine Todesnachricht zu überbringen hat? Das sieht man zwar nie im "Tatort", passiert aber trotzdem tagtäglich. Die Notfallseelsorger sind auch vor Ort, wenn mal wieder ein Zug entgleist ist, denn nicht nur die Verunglückten, sondern auch die Helfer haben da häufig Redebedarf.

Klar, das kann man alles abschaffen. Aber wer macht es dann? So viele Ehrenamtliche werden Sie nicht finden. Und wer bezahlt das dann alles?

sethos, Mittwoch, 2. März 2011, 01:29
Das gibt es ja in Ländern ohne Kirchensteuer alles auch. Und was ich bei den Orthodoxen mitkriege -- da geben die Gemeindemitglieder, denen es wichtig ist, einen Umschlag ab, da die keinen Kirchenstaatsvertrag hier haben. Den Griechisch-Orthodoxen hier in München, denen gehts richtig gut; und ihre Kirchen sind rappelvoll, wenn man da hinkommt.

Die machen es offensichtlich richtig. Was haben die, was wir in den letzten 100 oder 50 Jahren vergeigt haben?

arboretum, Mittwoch, 2. März 2011, 11:47
Also die hiesige griechische Gemeinde ist klamm und bekommt auch nicht die Spenden fürs geplante Gemeindezentrum zusammen, für das die Stadt schon 2006 einen Erbaurrechtsvertrag geschlossen hat. Das Geld, das auf dem Spendenkonto einging, ist zudem weg. Angeblich für Renovierungsarbeiten des bislang als Gemeindezentrum genutzten Hauses draufgegangen, sagen die einen. Die vereinsinternen Gegner vermuten anderes. Das besagte Haus soll ziemlich runtergekommen sein.

Der hier ansässigen russisch-orthodoxen Kirche fehlte ebenfalls das Geld, ihre Kirche usw. aus eigener Kraft zu sanieren. Mit finanziellen Problemen haben auch sehr viele muslimische Gemeinden zu kämpfen - die meisten haben nicht einmal genug Geld, einen gut ausgebildeten Imam zu bezahlen, sondern müssen sich - sofern sie nicht zu den türkischen Ditip-Gemeinden zählen, die vom türkischen Staat finanziert werden - mit Predigern zufrieden geben, die bestenfalls über theologisches Halbwissen verfügen. Und in der Regel auch noch einem anderen Beruf nachgehen (müssen).

sethos, Mittwoch, 2. März 2011, 14:09
Hier in München war die griechische Kirche in der Innenstadt eine ganze Weile ein bißchen heruntergekommen; derweil haben die Griechen aber am Mittleren Ring eine aufgelassene katholische Gemeinde umgebaut und die Kirche passend ausgemalt; die ist richtig prachtvoll geworden. Dann haben sie das alte Kirchlein renoviert, das ihnen seit 1820 gehört, weil da irgendein Wittelsbacher griechischer König wurde und deshalb viele Griechen nach München kamen.

Die Russen sitzen in der ehemaligen Kirche der US-Army-Siedlung im Perlacher Forst und sind auch dort sehr gut ausgestattet; da gehe ich aber nur sehr selten hin, weil die irgendwie doch arg im Jahr 1917 steckengeblieben sind. Die waren hier auch ursprünglich Exilkirche & haben auch ein ganz verstecktes kleines Kloster auf der anderen Seite von München; man muß wissen, daß es da ist, um zu verstehen, daß das spontane Zwiebeltürmchen zwischen den Bäumen nicht nur jemandes Privatkapelle oder architektonische Laune ist. Die leben aber sehr in ihrer eigenen Welt; man kann es ihnen nicht wirklich ankreiden, daß sie sich seit der russischen Revolution nicht wirklich verändert haben, da es der russischen Exilkirche immer nur ums Bewahren ging. Aber darben muß da keiner -- höchstens freiwillig, weil sie Mönche sind und sich kasteien.

Vielleicht sind die Orthodoxen hier einfach reicher als bei Ihnen?

arboretum, Mittwoch, 2. März 2011, 14:49
Keine Ahnung, ob die Russisch-Orthodoxen in München reicher sind. Die hier haben jedenfalls Blattgold auf ihren Zwiebeltürmen und die Kirche ist auch sehr viel älter (steht vermutlich unter Denkmalschutz, das weiß ich nicht so genau). Da gibt es einfach mehr zu reparieren, und das kostet halt.

Die hiesige griechische Community ist so klein auch nicht, allein dieser verkrachte Verein hat rund 800 Mitglieder. Und sie haben auch ihre eigene Kirche, ein umgebautes Wohnhaus (vorher kamen sie in evangelischen Kirchen unter).

sethos, Mittwoch, 2. März 2011, 15:55
Das ist jetzt alles allerdings kein Argument gegen die Abschaffung der Kirchensteuer, außer, daß es dann halt den Evangelischen und Katholischen genauso gehen würde.

Wenn man nun aber fairerweise die Kirchensteuer auf alle Angehörige irgendeiner Religionsgemeinschaft ausdehnte, und dann die Einnahmen einfach prozentual nach Zugehörigkeit der Steuerzahler verteilen würde, gäbe es ein Riesengeheul: - Staatsgelder für den Islam geht gar nicht! Die könnten davon ja Minarette bauen! Da hört bei den hierzulandigen Kirchensteuerzahlern die Religionsfreiheit total auf.

Das aktuelle System ist auf jeden Fall dem Stand unserer Gesellschaft nicht mehr angemessen, und eine Initiative wie die in Österreich wäre sehr begrüßenswert, weil das dann endlich mal in den offiziellen Diskurs käme.

arboretum, Mittwoch, 2. März 2011, 16:14
Sie finden, dass das keine Argumente sind, ich schon (s.o.), zumal Sie keine überzeugende Lösung für die daraus entstehenden Probleme aufzeigen konnten. "In anderen Ländern klappt das ja auch" finde ich nun nicht so überzeugend, da gibt es teilweise andere Traditionen oder eben auch die von mir benannten Probleme. (In anderen Ländern gibt es auch keine gesetzliche Krankenversicherung - sollen wir sie deshalb hierzulande auch abschaffen?)

Ich hege die Befürchtung, dass in so einem Fall gute, hilfreiche Projekte hinten herunterkippen, weil sie nicht genügend Spenden erhalten. Für ein Kinderhospiz spenden die Leute immer gern, dafür gibt es auch Benefizaktionen noch und nöcher. Aber wer spendet schon gern und großzügig für Teestuben und Wohnheime für Obdachlose? Die sind nicht attraktiv, sondern oft krank, dreckig und stinkend und erregen schon daher weniger Mitleid als krebskranke Kinder.

Dass muslimische Gemeinden keine Steuer erheben können, liegt am Körperschaftsrecht. Sie sind eben keine Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Zeugen Jehova bemühen sich genau aus diesem Grund um diesen Status (ich weiß momentan allerdings nicht, wie der jüngste Versuch ausgegangen ist).

Ob Minarettbau akzeptiert wird, liegt auch immer an der Öffentlichkeitsarbeit der jeweiligen Gemeinde. In Duisburg hat das geklappt. Soweit ich weiß, stammt der Entwurf übrigens von einem Kirchenbauarchitekten.

Hier hat die marokkanische Gemeinde bei ihrem Moscheebau amtlicherseits ebenfalls ein Minarett genehmigt bekommen, verzichtete aber vorerst darauf (sie können sich aber immer noch eins daranbauen, wenn sie wollen). Die geplanten Moscheen von Mili Görüs und der Tauhid-Gemeinde stoßen hingegen in der Öffentlichkeit auf Ablehnung, was aber auch mit der religiösen Ausrichtung dieser Gemeinden an sich zusammenhängen dürfte. Und irgendwie scheinen die Gegner auch der irrigen Meinung zu sein, dass diese Gemeinden, wenn sie keine offizielle Moschee haben, quasi auch gar nicht da sind. Als wären Hinterhofmoscheen besser.

sethos, Mittwoch, 2. März 2011, 18:29
Für ein paar gute, hilfreiche Projekte füttert man einen Wasserkopf an Kirchenverwaltung und vor allen Dingen jede Menge merkwürdige katholische Würdenträger.

Wäre ich ein Katholik in Hessen, würde mir der Lebensstil des neuen Bischofs von Limburg beispielsweise komplett die Galle überlaufen lassen. Das wäre dann ein Grund zum Austreten.

Das geht auch anders. Ich habe keine wirkliche Lösung vorzuschlagen, das gebe ich zu. Aber so, wie es jetzt ist, ist es einfach nicht mehr zeitgemäß, und es wäre gut, einen Diskurs in der Gesellschaft anzustoßen, in dessen Rahmen viele Leute genau das diskutieren, was wir hier gerade angerissen haben.


Nebenbei bin ich total dafür, daß man den Islam aus den Hinterhofmoscheen holt und eine ganz normale Religion sein läßt. Jetzt ist auch ein guter Zeitpunkt dafür, weil die Ereignisse in Ägypten der steigenden Islamophobie hier bei uns so richtig gut das Wasser abgegraben haben.

sphingula04, Mittwoch, 2. März 2011, 21:30
Ich bin aber auch der Überzeugung, dass die Kirchen durchaus ihren Anteil sowohl für die Erhaltung zahlreicher Kulturgüter, Kirchen, Kirchenschätze, Klöster etc. leisten, und die Arbeit kirchlicher Organisationen in so vielen sozialen Bereichen sollte man auch nicht unter den Tisch fallen lassen.

Okay, wenn man sich anschaut, dass zumindest bei uns Erzieher in kirchlichen Kindergärten teilweise nur 2/3 von dem verdienen, was Erzieher in staatlichen Einrichtungen bekommen, und die verdienen schon nicht viel... aber das ist nicht ganz dieselbe Diskussion, oder?

Und der Limburger Bischoff ist ein Ärgernis an sich, aber das sehen auch intern viele Kirchenvertreter so. Und den kann man nicht allen Katholiken anlassten.

Ansonsten sollte man die Verantwortung dafür, dass "man den Islam ... eine ganz normale Religion sein lässt" oder eben nicht, zum Teil bitte auch da lassen, wo sie hingehört - nämlich zum Teil bei den Gemeinden selbst. Viele Gemeinden haben sich nämlich ganz bewusst dafür entscheiden, eben keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein zu wollen, auch wenn sie dadurch auch nicht hebeberechtigt sind. Es liegt also nicht nur alles daran, dass man die Gemeinden nicht ließe...

sethos, Mittwoch, 2. März 2011, 21:49
Soll das heißen, jeder islamische Verein könnte beantragen, Kirchensteuer haben zu wollen??

Von orthodoxen Kirchen ganz zu schweigen?

Dann frage ich mich, warum die das nicht tun.-

sphingula04, Mittwoch, 9. März 2011, 17:24
...beantragen könnten sie den Teil mit "Körperschaft des öffentlichen Rechts" als Voraussetzung, hebeberechtigt zu sein, grundsätzlich ja - wenn sie denn wollten.

Wobei definitiv nicht alle wollen, die könnten, und nicht alle, die wollen, würden ihren Antrag wohl genehmigt bekommen, was aber wieder komplett andere Gründe hat.

Ausgesprochen kompliziert, das Ganze - aber definitiv nicht nur von Seiten unseres Staates.

sethos, Mittwoch, 9. März 2011, 20:13
Ja, das klingt ausgesprochen komplex.

Aber ich glaube, das ist mit Religionen immer so...