Wie man's macht, macht man's falsch
Das Tabu um anderer Leute Kinder.

Das betrifft aber nicht nur Deutschland. Inzwischen ist es vielfach so, daß sich ein Mann unter gar keinen Umständen mehr traut, alleine mit einem fremden Kind zu reden. Meine gute Freundin Sally aus Wales hat dazu neulich von einem Vorfall erzählt, bei dem ein männnlicher Kollege beobachtet hat, wie ein richtig kleines Kind von etwa anderthalb Jahren völlig frei und unbeaufsichtigt neben einem parkenden Auto an einer Hauptstraße herumhüpfte, ganz nah am fließenden Verkehr. Kein zuständiger Erwachsener weit und breit. Da sich der Mann nicht traute, das fremde Kind anzusprechen (denn Männer, die fremde Kinder ansprechen, egal weshalb, sind ja wohl notwendigerweise böse Kinderschänder*) zog er eine zufällig vorbeikommende Frau als Anstandswauwau (!!!) hinzu (sie sah nicht recht ein, wieso sie das sollte, was ja verständlich ist, aber in dem Kontext nicht wirklich zielführend), und gemeinsam paßten sie über eine halbe Stunde auf das kleine Wesen auf. Dann kam die Mutter zurück und stürzte sich kreischend auf sie: "WAS MACHEN SIE MIT MEINEM KIND???" Sie hatte das Kind einfach im unverschlossenen Auto gelassen und war 'nur mal rasch einkaufen gegangen'...

Die Schlußfolgerung aus all dem ist, wer ein fremdes Kind auf einem Brückengeländer oder dergl. herumklettern sieht (will sagen: echte Gefahr!), der macht am besten einfach nur schnell, daß er weiterkommt. Vor allen Dingen, wenn er männlich ist, und niemand anderes dabei ist. Mischt er sich ein, wird er als Kinderschänder verdächtigt; passiert dem Kind was, dann ist er wegen unterlassener Hilfeleistung dran. Also einfach nur das Weite suchen!



* Ein Aspekt, den der Spiegel-Artikel noch gar nicht berührt; dieser Generalverdacht potenziert dann die Komplexität des Themas nochmals.

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sphingula04, Mittwoch, 27. April 2011, 17:59
Also ich schließe mein Auto immer sorgfältig ab, wenn ich "nur mal rasch einkaufen gehe" und Nachwuchs im Auto sitzt. ;-)

Ansonsten, nachdem ich gerade eine Woche lang "anderer Leuts Kinder" gehütet habe - an dem Problem ist verdammt viel Wahres dran. (Auch wenn ich denke, der getretene alte Mann in der Warteschlange beim Spiegel hätte potentiell mehr Erfolg gehabt, wenn er das Kind nicht angebrüllt hätte, sondern erstaunt und höflich nachgefragt, was das Kind da tue - nicht unbedingt bei der Mutter, aber vielleicht beim Kind.)

Allerdings bin ich Frau und habe selbst Kinder, und wenn ein Kind vor mir rum hüpft und kräht, es tue eh nicht, was ich ihm sage, und ich dürfe es ja gar nicht anfassen - gut, dann pflücke ich das Kind einmal vom Brückengelände und danach ist Ruhe im Karton. Ein männlicher Kollege will, genau deswegen, wohl nicht mehr mitarbeiten beim "anderer Leuts Kinder-hüten", weil er sagt, er kann - s. Generalverdacht etc. - gar nichts tun, wenn seine Anordnungen nicht befolgt werden.

sethos, Mittwoch, 27. April 2011, 21:44
Daß Du Deine Kinder besser organisiert und im Griff hast, das ist mir schon klar. Die Lady da in Wales, die ihr Auto offengelassen hat, scheint schon irgendwie etwas neben der Spur gewesen zu sein. Zumal sie ja wohl insgesamt mindestens eine halbe Stunde vom Auto weg war. Da würde ich das Kind doch mitnehmen, also, wenn ich für eines zuständig wäre.

Kinder merken ja auch, wenn Erwachsene vor ihnen Angst haben (mehr oder weniger), und lernen, daß sie immer Recht kriegen, wenn sie auf einen Erwachsenen zeigen und kreischen 'der hat mich angefaßt!' Daß Dein Kollege keine Lust mehr hat, sich mit sowas rumzuschlagen, kann ich total verstehen.

Das ist ja auch nicht gut für die Kinder! Einerseits heulen alle möglichen Leute nach mehr männlichen Bezugspersonen in Kindergarten und Grundschule, andererseits begibt sich jeder Mann, der mit Kindern unterhalb der fünften Klasse arbeitet, sofort in den Bereich des Generalverdachts. Einerseits heißt es, Kinder brauchen Grenzen; andererseits öffnet diese Möglichkeit solchen hüpfenden, krähenden Bratzen wie dem, das Du erwähnst, komplett Tür und Tor.

gorillaschnitzel, Donnerstag, 28. April 2011, 00:55
@sethos: ....es sind nicht nur die Fremden, die sich nicht mehr getrauen, fremde Kinder zurechtzuweisen. Es sind die eigenen Eltern, die sich das nicht mehr trauen. Völlige Unsicherheit, Harmoniebedürfnis, falsch verstandenes Demokratieverständnis ("ich kann meiner 12jährigen doch nicht das Rauchen verbieten, dann macht sie es doch heimlich") und vieles anderes mehr....

Und was die Männer im Kitabereich (Klasse 5 abwärts) angeht: Das ist politisch so gewollt. Kurz und knapp. Wer sich mal querliest, was die Verschlechterungen (und die sind enorm) von BAT zu TVÖD ausmachen weiß Bescheid. Da braucht sich auch niemand mehr zu wundern, wenn man in dem Bereich generell keine Fachkräfte (auch keine weiblichen) mehr findet. BW hat da schon einen Fachkräftemangel und ich weiß von Berlin, dass es da ganz tolle Projekte auf dem Papier gäbe und das Geld wäre auch da. Es scheitert allein am fehlenden Personal. Das aber würde gerne angemessen bezahlt werden.

sethos, Donnerstag, 28. April 2011, 01:03
If you pay peanuts, you will get monkeys. Altes Prinzip.

Aber selbst wenn man die Leute angemessen bezahlen würde für diese wirklich wichtige Arbeit: - wer will das schon machen, wenn man dafür jederzeit verdächtigt werden kann, ein böser Kinderschänder zu sein? Und wenn da jedes überdrehte Elternteil bei der geringsten Aufregung einem das Leben zur Hölle machen kann?

Da ergreift man auch bei guter Bezahlung lieber einen anderen Beruf.

gorillaschnitzel, Donnerstag, 28. April 2011, 01:40
....das machen nur noch Irre....

sethos, Donnerstag, 28. April 2011, 01:57
... was dann natürlich gar nicht hilfreich ist für den Abbau von Vorurteilen gegenüber männlichen Kindergärtnern und Grundschullehrern.

sid, Donnerstag, 28. April 2011, 03:54
ad Supermarkt Kind

Nö, da tut sich nichts. Die Mutter in meinem Fall (Kopftuch hin oder her), hat sich einfach weggedreht und so getan, als hätte sie NICHTS bemerkt.
Noch einmal, und ich hätte mir das Kind geschnappt.

Für gewöhnlich vergreife ich mich nicht an andren, aber ich lasse mich nicht mutwillig verletzen und die Erziehungsberechtigte meint nix sehen zu müssen - jo, dann kann sie gleich noch mal wegsehen.
Und nein, ich hätte dem Kind nix körperlich getan, sondern nur mal ordentlich angeschnauzt.

Bin damit aktuell noch in der Arbeit auch konfrontiert.
Die Mütter stehen daneben, während sich die Kinder ungeniert am Zucker bedienen, den Kopierer auseinander nehmen, Kollegen das Essen runterwerfen - die schauen weg oder drüber - keine Ahnung.
Kaum sind die Mütter aber weg, geht alles in normalen Bahnen. Kein Gebrüll, kein Geschrei. Tränen, wenn mal zu sehr müde (aber das ist ein andres Thema).
Kaum sind die Mütter wieder da, gibts keine Grenzen mehr. Gar keine.
Uns wundert vieles nicht mehr.

sethos, Donnerstag, 28. April 2011, 10:19
Als weibliche Person können Sie eher noch so ein Kind mal kurz einnorden, Frau Sid. Männliche Personen sind im Dunstkreis von Kindern generell erst mal verdächtig. Das ist ja auch, was die Sphinx sagt, siehe oben.

Aber Sie meinen, in Anwesenheit der Mütter sind die Kinder schlimmer? Denken die, sie werden schon beschützt, wenn jemand was sagt? Versuchen sie damit, die Aufmerksamkeit der Mütter auf sich zu ziehen?

sid, Donnerstag, 28. April 2011, 16:35
Wär da nicht gegangen: Kind männlich, Mutter Kopftuch.


Diese speziellen Kinder/Mütter - ja, da schon. In Anwesenheit haben die Narrenfreiheit. Sind die Mütter mal weg, haben sie mittlerweile gelernt, daß nicht alles geht. Und vor allem nicht nach ihrem Kopf ; )

Und nein und nein. Den Müttern ist alles egal. Muß eine Form der antiauth. Erziehung sein. (Bin ich überhaupt kein Fan davon. Menschen brauchen Grenzen. Besser sie als Kind zu lernen und seinen Platz zu kennen, als dann in der Pubertät anfangen, auf Leute einzutreten.)

Die können auch kein bitte oder danke - wenn die Mütter weg sind oder ich davor mal bös schau, dann schon.
Aber daß da mal eine was sagt... nein nein nein...
Anyway, ich hab noch eine Woche Pause *g*

sid, Sonntag, 1. Mai 2011, 18:25
Zu dem Artikel wollt ich noch sagen: ungefragt für ein fremdes Kind Süßigkeiten kaufen geht GAR NICHT.
1. - man weiß gar nicht, ob das Kind das a. verträgt, b. essen darf (viele Eltern versuchen ja den Zucker laaaange rauszuschieben).

2. Kindern beizubringen, Süßes von Fremden zu nehmen bzw. Deine Mami ist so ein Drachen und verbietet Dir das? Aber von mir bekommst Du das jetzt... - nein nein nein.

3. Dem Kind somit zu suggerieren, "wenn Du lang genug tobst, gehst Du wem derart auf die Nerven, daß Du sicher Deinen Willen bekommst". Geht auch nicht.


Man kann natürlich fragen, warum man das nu nicht kauft. Wobei - ehrlich gesagt, würd sich da wer bei mir einmischen, ich weiß nicht... Ich frag ja auch nicht "warum kaufen Sie diese Seife und nicht eine andre".
Wenn die Mutter laut und deutlich klar macht, daß man das Geld nicht hat - okee, das wäre für mich die einzige Situation, in der vorstellbar wäre, die Mutter zu fragen, ob man das dem Kind schenken darf. Aber sonst? Nö.

Sie sehen - mich läßt das Thema seit Tagen nicht los ; )

sethos, Sonntag, 1. Mai 2011, 19:31
Das geht einem auch nach. Die Gentrifizierungsgewinner hier im Viertel vermehren sich wie die Irren, und ständig muß man sich mit den Kindern anderer Leute irgendwie auseinandersetzen.

Gestern krabbelten vier Kinder von irgendwo auf den Mülleimerbehältern (ca. 1,5 m hoch) im nächsten Hof herum und führten sich wüst auf, während direkt daneben eine Familie mit Baby versuchte, auf ihrer Terasse zu frühstücken. Man kann sicher nicht entspannt frühstücken und mit einer ganz kleinen Person den Frühling genießen, wenn man jeden Moment damit rechnen muß, daß einem fremde blonde Kiddies in die Marmelade kippen...

sphingula04, Sonntag, 1. Mai 2011, 20:46
...ach, ich weiß nicht - wenn es nicht meine Kinder sind, die neben mir auf den Mülltonnen rumturnen, kann ich grundsätzlich ganz gut damit leben. :-)

sethos, Sonntag, 1. Mai 2011, 20:51
Nee, die Lady, deren Terasse das war, ist eine Japanerin oder dergl., und die Kiddies auf den Mülltonnenbehältern waren strohblond. Das waren bestimmt nicht ihre. Sie hat auch ein eigenes kleines Wesen, etwa Kragenweite vom kleinen J.

Wäre eines von den Kiddies von der Mülltonne gekippt, wäre es aber wirklich auf dem Frühstückstisch oder im Kinderwagen von dem kleinen Wesen gelandet. Da kann man nicht relaxen.